Falkengrund Nr. 32
zugleich. Lachte, weil sie sich vorstellte, sie würde so verrückt werden, dass sie sich den Kopf an der Wand einschlug und elend verreckte, während der Red Cap draußen stand und sich ärgerte, weil er nicht hereinkonnte, solange ihr Blut frisch und glänzend war. Weinte, weil sie leben wollte. Weil sie wieder Pizza essen und Cola trinken wollte, neue Dinge erleben, Menschen kennen lernen, in Discos tanzen, ins Kino gehen und schnulzige Filme sehen, all diese belanglosen Dinge, die einem so ungeheuer kostbar vorkommen, wenn man den Tod vor Augen hat.
Heulend warf sie sich von einer Ecke in die andere, zerschliss ihre Kleidung, beschmutzte sich, atmete Staub. Sie zog den Helm der Rüstung an sich und versuchte sich ihn über den Kopf zu stülpen, doch etwas befand sich in seinem Inneren und war dort festgerostet, so dass es nicht klappte. Mit einem Wutschrei schleuderte sie ihn auf die grüngekleideten Gestalten zu.
Sie erwartete, dass er durch sie hindurchging, doch er traf eine davon in den Magen, diese krümmte sich und wäre zusammengebrochen, hätten die anderen beiden sie nicht gehalten.
„Die drei sind deine Freunde!“, erklang die Stimme wieder.
Wieder eine Lüge. Die drei sahen sie ernst an, feindselig jetzt, lächelten nicht, reichten ihr nicht die Hand, öffneten die Tür nicht für sie, sahen nur zu, wie sie sich abkämpfte. Woher sollte sie auch Freunde unter den Geistern haben? Ebenso gut konnte man ihr einzureden versuchen, der Red Cap sei Gehirnchirurg und habe Nevin MacNorras einer heilbringenden Behandlung unterzogen.
Mama sprang mit einem wütenden Schrei auf die drei zu. Sie war lange genug geflohen.
Die Deutsche prallte gegen die mittlere Gestalt. Die Kleidung roch nach Gras und Erde, aber frisch wie ein Frühlingstag. Das Wesen stolperte einen Schritt zurück, dann waren plötzlich seine Hände an der Kette der Handschellen. Mama wurde von einer Kraft hochgehoben und herumgewirbelt, die unmöglich in diesem kleinen Geschöpf stecken konnte. Die Fliehkraft wirkte, und sie wurde gegen die Wand geschleudert.
Dabei schlug sie sich den Kopf an, und als der Schmerz nachließ, machte sie eine unglaubliche Feststellung. Die Handschellen waren verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Doch! Da waren sie noch! Die geschlechtslose Gestalt hielt sie in ihren Händen, ließ sie baumeln und sah das Mädchen dabei mit tiefem Ernst an.
„Hör mir zu!“, meldete sich die Stimme wieder. „Ich darf nicht laut schreien. Wenn der Red Cap mich jetzt entdeckt, bin ich in großer Gefahr.“
Mama gehorchte. Ihr Rücken schmerzte, als sie ihn streckte, aber es tat gut, sich wieder aufrichten zu können. Sie war nun beinahe einen Kopf größer als die grünen Gestalten, und auch das gab ihr etwas Mut. Ihr Herz pochte noch immer, ihre Blicke sprangen weiterhin wild hin und her, aber das Gefühl, den Verstand zu verlieren, war schwächer geworden. Sie drückte sich in die Ecke des Raumes, fand das Gesicht am anderen Ende der Öffnung. Die Haut der Frau hing in Falten herab. Wieder war sie stark geschminkt, und wieder schien sie rote Kleidung zu tragen. Mama beneidete sie um das Sonnenlicht, das sie spüren durfte. Hier unten hatte sie nur ein paar schmale Streifen Licht, die sie zu verspotten schienen.
„Wir haben noch ein bisschen Zeit“, flüsterte die Frau.
„Ich möchte hier rauskommen“, wimmerte Mama.
„Und ich verspreche dir, das wirst du“, lautete die Antwort. „Aber vorher muss ich dir ein paar Dinge erklären.“
„Ich will nichts hören. Es ist zu viel für mich.“ Sie begann zu zittern. Sie hatte geschwitzt, und der kalte Schweiß auf ihrer Haut ließ sie jetzt frösteln.
„Es ist wichtig, dass du alles verstehst. Du musst ganz genau begreifen, was mit dir geschieht und was du tun möchtest. Du darfst nicht schwanken und nicht zweifeln. Nur dann helfen dir die Elben.“
Mama hörte das Wort und sah die grünen Gestalten an, aber es fiel ihr schwer, beide miteinander in Verbindung zu bringen. Elben, das war ein schönes Wort. Es klang nach Märchen und Romantik, nach anmutigen Wesen, die in grünen Hügeln lebten und heimlich im Mondlicht tanzten, wenn kein Mensch ihnen dabei zusah. Aber … „Red Caps sind Elben“, sagte sie bissig wie ein trotziges Kind, das zu oft betrogen worden war, um den Erwachsenen noch Glauben zu schenken.
„Red Caps sind keine Elben“, kam die nachdrückliche Erwiderung von oben. „Sie wollen, dass man sie für Elben hält, und es gelingt ihnen
Weitere Kostenlose Bücher