Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
habe ich ihm klipp und klar zu verstehen gegeben. Ohne das vorgebliche Schreiben meines Bruders wird er ihn nicht wieder sehen. Und da wir alle davon überzeugt sind, dass dieses Schreiben nie existiert hat, werden wir auch von Zeppenfeld nie wieder etwas hören oder sehen. Und damit möchte ich dieses Thema beendet wissen, mein Junge. Ich habe zu arbeiten, wenn du nichts dagegen hast!«
Schon am folgenden Tag wurde Heinrich Heller eines anderen belehrt. Nach dem Frühstück brachen alle vom Falkenhof, mit Ausnahme von Sadik, zum Gottesdienst nach Marienborn auf. Auch Jana.
Tobias hatte gewollt, dass sie bei ihm und seinem Onkel in der Kutsche mitfuhr. Doch sie war nicht dazu zu bewegen, weil sie es nicht für angebracht hielt, in einer Kutsche vor der Kirche vorzufahren. Heinrich Heller unternahm auch keinen Versuch, ihr das auszureden.
»Manchmal kann ein Gefallen auch das Gegenteil bewirken, mein Junge«, sagte er nur zu seinem Neffen.
Und so fuhr Jana mit Agnes, Lisette und Klemens in dem offenen Wagen mit, während Jakob auf dem Bock der Kutsche saß. Alle im Sonntagsstaat. Sogar Jana. Sie trug ein abgelegtes Kleid von Lisette, blau mit kleinem weißen Blumenmuster, das Haar zu einem Zopf im Nacken geflochten. Sie selbst besaß nämlich kein Kleid, sondern nur Pumphosen, und die fand Heinrich Heller für einen Kirchgang doch ein wenig zu zigeunerhaft. Als Tobias sie in Lisettes Kleid sah, fand er, dass sie schon wie eine junge Frau wirkte. Und hübscher als Lisette war sie allemal! Irgendwie war er stolz auf sie und hätte sie gern an seiner Seite gehabt. Aber auch in der Kirche blieben sie getrennt. Denn Jana stellte sich mit Lisette und Agnes auf die andere Seite und viel weiter hinten in eine der Bänke.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sich den Kirchgang erspart. Aber sein Onkel bestand darauf, dass er ihn zumindest einmal im Jahr zum Gottesdienst begleitete. Schon vor Jahren hatte er sich darüber gewundert, denn häufig genug schimpfte Heinrich Heller auf die Frömmler und Pfaffen und die wissenschaftsfeindliche Kirche.
»Wissenschaftler sind meist erst Atheisten und glauben, unsere Schöpfung allein anhand von Gleichungen und Naturgesetzen begründen zu können«, hatte er ihm damals erklärt, auf den scheinbaren Widerspruch hin angesprochen. »Doch je intensiver man sich mit der Philosophie und den Naturwissenschaften beschäftigt, desto weniger bleibt von dieser Gott verneinenden Haltung übrig, mein Junge, weil man beginnt, ein höheres System zu erkennen, das über einfache Formeln und physikalische Gesetze hinausgeht. An einem Gottesdienst teilzunehmen, bedeutet zudem auch nicht, dass man sich gedankenlos den Dogmen der Kirche unterwirft. Für mich ist er vielmehr eine Gelegenheit zur Besinnung, die mit allem Äußerlichen wenig zu tun hat. Für die Institution Kirche mit ihren Dogmen kann man Geringschätzung übrig haben, weil sie die Borniertheit und die Unvollkommenheit des Menschen widerspiegeln, nicht jedoch für den Glauben. Wie du dein späteres Leben in dieser Hinsicht einrichtest, sei dir überlassen. Doch solange ich noch für deine Erziehung verantwortlich bin, wirst du mich gelegentlich begleiten.«
Tobias konnte jedoch nicht behaupten, dass die Kirche für ihn ein Ort der Besinnung war, schon gar nicht, wenn Thadeus Kröchler auf der Kanzel stand. Die weitschweifigen Predigten des dicklichen, kleinen Mannes waren eher einschläfernd. Und so wartete er auch an diesem Sonntag voller Ungeduld darauf, dass Kröchler ein Ende fand.
Er saß eine Reihe hinter seinem Onkel. Gelegentlich riskierte er einen Blick nach hinten, wo Jana saß. Wenn sie seinen Blick auffing, lächelte sie, als wollte sie ihm zu verstehen geben, wie wenig auch sie von Kröchlers Predigt hielt.
Fast gegen Schluss bemerkte er dann Zeppenfeld! Er stand ganz hinten bei der Tür. Schnell blickte Tobias weg. Doch als er sich Augenblicke später noch einmal umwandte, stand Zeppenfeld noch immer dort und schaute ihn an. Er gab ihm ein Zeichen und deutete mit dem Kopf zur Tür. Und ohne eine Reaktion abzuwarten, ging er hinaus.
Tobias war verwirrt. Hatte das Zeichen wirklich ihm gegolten? Wollte Zeppenfeld ihn sprechen? Er zögerte einen Moment, während der Gesang der Kirchengemeinde mit der vorauseilenden Orgel Schritt zu halten versuchte. Dann nahm er kurz entschlossen sein Gebetbuch, drückte sich unter den missbilligenden Blicken der Kirchgänger aus der Bank und eilte den Gang hinunter.
Zeppenfeld
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