Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
Blancourt finden.
»Na, dann wird man uns ja wohl auch zurückschicken«, befürchtete Jana und sah unwillkürlich an ihrem Kleid hinunter, das Lisette ihr auf Falkenhof zum Abschied geschenkt hatte. Bisher hatte sie es für sehr hübsch gehalten und noch nicht einmal angezogen, weil es ihr bestes Stück war. Doch im Vergleich zu den Kleidern der Frauen, die da in Begleitung elegant gekleideter Männer durch den Eingang strömten, musste es doch sehr schlicht wirken.
»Nein, ihr seid anständig gekleidet. Euch lassen sie bestimmt durch«, widersprach Gaspard ohne Neid und Bitterkeit. »Eure Hemden und Hosen sind von gutem Stoff, das sieht man sofort. Und das Kleid steht dir gut zu Gesicht, Jana. Ihr werdet keine Schwierigkeiten haben.«
»Also gut, versuchen wir unser Glück«, meinte Sadik.
Die Aufpasser warfen ihnen einen prüfenden Blick zu, ließen sie jedoch wortlos passieren, ganz wie Gaspard vorhergesagt hatte. Sie traten in eine Welt, in der es keinen Hunger und keine Armut, keinen Gestank und keinen Dreck gab. Eine leuchtende Oase von scheinbar grenzenlosem Wohlstand und verschwenderischem Luxus hieß sie willkommen.
Beim Palais Royal handelte es sich nicht um einen königlichen Palast, wie der Name suggerierte, sondern um einen in sich geschlossenen und besonders luxuriösen Einkaufskomplex unter Arkaden. Juweliere, Modegeschäfte, Buchläden, Stoffhandlungen und Bildergalerien reihten sich zu Dutzenden Tür an Tür. Wie die Wandelgänge eines Palastes angelegt und um ein großzügiges parkähnliches Gartengeviert gebaut, boten die Geschäfte unter den Kolonnaden mit ihren hundertachtzig Arkadenbögen der zahlungskräftigen Oberschicht Waren und Luxus aus aller Welt zum Kauf. Es gab kaum etwas, was das Herz begehren konnte und hier nicht zu finden war. Und wem der Sinn nicht nach Einkäufen stand, fand unter den Promenaden vielfältige Möglichkeiten, sich auf andere Weise zu zerstreuen, nämlich in den Cafés und Restaurants, in den Varietes, Billardsalons und Heilbädern.
»Heiliger Krösus!«, entfuhr es Sadik leise.
Auch Jana und Tobias waren überwältigt von dem Glanz der Schaufensterauslagen sowie von all dem Marmor und dem wie Gold glänzenden Messing, auf das das Auge überall traf. Die Laternen brannten schon vor den Läden und an den Säulen der Rundbögen, hinter denen sich die gepflegten Gartenanlagen mit bunter Blumenpracht erstreckten und zu einem Spaziergang einluden. Zur Gartenseite hin standen Tische und Stühle mehrere Reihen tief, so dass man sich hier von der Strapaze der Einkäufe ausruhen konnte, sofern man nicht eines der vielen Cafés und Restaurants bevorzugte.
»Als gäbe es den Dreck und Gestank und das schreiende Elend nicht, das anderswo auf den Straßen herrscht«, murmelte Tobias, dem dieser so prahlerisch zur Schau gestellte Luxus Unbehagen bereitete – und dumpfe Schuldgefühle. Denn seiner Herkunft nach gehörte auch er zu dieser Welt der Privilegierten.
»Das Wesen der Ochsen zeigt sich, wenn sie unter dem Joch sind – die wenigsten wehren sich dagegen«, meinte Sadik lakonisch. »Lasst uns das Café du Caveau suchen.«
»Na, auf diesen Horace Blancourt bin ich wirklich mal gespannt«, sagte Jana in ihrer Mitte. »Wenn das hier seine bevorzugte Umgebung ist, verstehe ich nicht, wie Jean Roland behaupten kann, er wäre ein sehr engagierter Journalist und Republikaner.«
»Wer den Kalifen verflucht und aus seinem Palast jagen will, muss deshalb noch längst nichts gegen einen weichen Diwan und dienstbare Geister einzuwenden haben«, entgegnete Sadik sarkastisch.
»Da hast du Recht«, räumte Jana ein.
Sie fragten nach dem Café du Caveau, das seinen Namen nach im Souterrain gelegen sein musste, und wurden auf den gegenüberliegenden Kolonnadengang verwiesen. Ihnen fiel jetzt auf, dass trotz aller Unbeschwertheit und Frivolität, die das Palais Royal ausstrahlte, ein Teil der Besucher an diesem Abend mit ernsten Gesichtern zusammenstand und ernste Gespräche führte, statt sich dem Müßiggang entlang der Geschäfte hinzugeben. Hier und da wurden sogar erregte Stimmen unter den Arkaden laut, wo sich größere Gruppen Diskutierender gebildet hatten. Kein Zweifel, die vier Ordonnanzen des Königs schlugen auch hier hohe Wellen.
Das Café du Caveau hatten sie schnell gefunden, doch in das Lokal zu gelangen erwies sich als weniger leicht. Nicht dass Türsteher ihnen den Zugang verwehrt hätten. Nein, es war vielmehr die Menschenmenge, die sich vor dem Café
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