Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
drängte, um an dem Geschehen teilzuhaben, das sich im Innern abspielte, in dem offenbar hitzige Reden geschwungen wurden.
»Was nun?«, fragte Tobias ratlos.
»Was soll schon sein?«, fragte Sadik zurück. »Das Café scheint sich wirklich größter Beliebtheit zu erfreuen, aber so voll, als dass da nicht noch Platz für uns wäre, kann es gar nicht sein. Und hinein müssen wir. Also stürzen wir uns in das Gewoge!«
Von Stürzen konnte keine Rede sein. Es war ein mühsames Geschiebe und Gequetsche. Jeden Meter mussten sie sich erkämpfen und dabei derbe Stöße und unfreundliche Anraunzer einstecken.
Sie kamen nur einige Meter in das Lokal hinein. Auch zwischen den Tischen und Säulen, auf denen Büsten von Musikern und Literaten standen, war jeder freie Platz besetzt. Es ging einfach nicht weiter.
Weiter vorn stand ein Mann von attraktivem Äußeren, aber in der auffälligen Kleidung eines Stutzers auf einem Stuhl und erntete gerade Beifall von den im Lokal Versammelten.
»Polignac soll seinen Hut nehmen!«, rief jemand aus der Menge.
»Ja, zum Teufel mit Polignac und seiner Clique!«, griff ein anderer den Ruf auf. »Abdanken soll die Regierung! Sie hat keine Legitimation!«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich im Raum.
»Polignac? Wer ist Polignac? Kann mir einer von Ihnen sagen, was diesen Mann auszeichnet, dass wir über ihn sprechen müssten?«, rief der Mann auf dem Stuhl verächtlich und vollführte eine schwungvolle Geste, als suchte er in der Menge vor sich jemanden, der ihm diese Frage beantworten könnte. Doch er wartete nicht auf einen Zuruf, sondern gab selbst im nächsten Moment die Antwort: »Polignac ist ein Niemand! Ein Nichts! Er ist nichts weiter als eine Marionette, und wer wollte sich schon über den Charakter einer Marionette ereifern, die mit dem Kopf wackelt, wenn man an den richtigen Schnüren zieht?«
Die Schmähung des Ministerpräsidenten weckte lautes Gelächter.
»Eine austauschbare Marionette in den machtgierigen Händen von König Charles X. – das und nichts weiter ist Jules de Polignac!«, bekräftigte der Redner auf dem Stuhl noch einmal und fuhr mit feurigem Temperament fort: »Nicht er, sondern unser König ist es, der die gewählte Kammer auflösen, uns die Pressefreiheit nehmen und uns wieder in ein Zeitalter absolutistischer Monarchie prügeln will! König Charles hat sich diese landesverräterischen Erlasse ausgedacht! Ja, nennen wir diese politische Missgeburt ruhig bei dem Namen, der ihr zusteht – meine Freunde! Landesverräterisch!«
Ein erregtes Raunen ob dieser unverblümten Angriffe auf den König ging durch die Menge.
»Pass auf, was du sagst! Du trägst hier deine Haut zu Markte!
Spitzel gibt es überall!«, warnte ihn jemand.
Der Redner machte eine wegwischende Handbewegung. »Der Sturm der Geschichte wird sie hinwegfegen wie Spreu im Wind!«, verkündete er mit einer guten Prise Pathos und warf sich in die Brust. »Wir dürfen jetzt nicht schweigen! Wir müssen uns geschlossen zeigen und uns mit Wort und Tat gegen diese Beschneidung unserer Rechte zur Wehr setzen! Denn diese Ordonnanzen sind ein eklatanter Verstoß gegen unsere Verfassung! Ein Attentat auf unsere Freiheit! Niemand hat das Recht, die Charte außer Kraft zu setzen und uns dessen zu berauben, wofür unsere Väter und Vorväter gekämpft und mit ihrem Blut bezahlt haben! Die Revolution von 1789 ist nicht vergessen! Das Rad der Geschichte lässt sich nicht einfach zurückdrehen. Die Zeiten der Herrscherwillkür sind vorbei! Und so wie uns unsere Nation heilig ist, ist uns auch die Charte unantastbar! Nicht mal der König kann sich darüber hinwegsetzen!«
»Du sprichst uns aus der Seele, Blancourt!«, rief eine begeisterte Stimme in den aufbrausenden Beifall.
»Ich glaube, wir haben unseren Mann gefunden«, sagte Sadik trocken. »Ein rechter Paradiesvogel, wie mir scheint, und nicht eben unerfahren in der Redekunst.«
»Wahrlich nicht«, pflichtete ihm Tobias lachend bei. Diesen Horace Blancourt hatte er sich anders vorgestellt. Er hatte mit einem geistvollen Lebemann gerechnet, der seine fortschrittlichen Ansichten mit der Feder zu Papier brachte und sie vielleicht auch im Kreis seiner Freunde eifrig vertrat – nicht jedoch mit einem Mann, der ein so temperamentvoller, mitreißender und zudem auch noch furchtloser Redner war. Wie ausgeprägt seine Schwächen auch sein mochten, die Stärken von Horace Blancourt gefielen ihm außerordentlich gut.
»Jetzt fragt sich nur, wie wir zu ihm
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