Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
sieht. Einen Mann mit so dunkler Haut hat er sicher noch nie gesehen. Du weißt, die Vorurteile der Menschen sind grenzenlos.«
»Klugheit ist Kapital, Unverstand kann angelernt werden. Was Letzteres betrifft, so sind die meisten Menschen fürwahr sehr eifrige Schüler«, erwiderte Sadik spitz. »Also gut, übernimm du das Reden. Hauptsache, wir setzen so schnell wie möglich über den Fluss.«
Die Tür flog auf, als sie bis auf zehn Schritte an das Haus des Fährmanns herangekommen waren. Ein kräftiger Mann von gedrungener Gestalt trat ins helle Rechteck der Tür, eine doppelläufige Flinte in der Hand. Er stand ein wenig gekrümmt im Türrahmen, die Schultern leicht nach innen gezogen und den Kopf gebeugt, was seiner Haltung etwas Drohendes gab – von der Waffe einmal ganz abgesehen.
»Brauchen nicht zu schreien, Mann. Kann noch verdammt gut hören!«, schnarrte er unfreundlich. Man roch, dass er Alkohol getrunken hatte, doch seiner Stimme war nichts davon anzumerken. Er schwankte auch nicht, sondern stand breitbeinig und sicher in klobigen Stiefeln vor der Tür.
Tobias und Sadik waren augenblicklich stehen geblieben, denn er hielt die doppelläufige Flinte auf sie gerichtet. »Wir müssen ans andere Ufer, Herr Jentsch«, sagte Tobias betont freundlich und um ein gewinnendes Lächeln bemüht. »Ich weiß, dass Sie normalerweise nach Sonnenuntergang nicht mehr …«
»Spar dir deinen Atem, du Grünschnabel!«, unterbrach ihn der Fährmann schroff. »Du weißt nicht mal genug, um damit den Boden von ’nem Fingerhut zu nässen! Denn wenn du was über den Fährmann Jentsch wissen würdest, ständest du nicht hier und würdest mir die Zeit stehlen. Jedermann weiß, dass ich nachts nicht auf den Fluss gehe, der Herr ist mein Zeuge!« Er bekreuzigte sich, als wäre allein schon der Gedanke so etwas wie Gotteslästerung.
»Niemand will Ihnen den Feierabend verderben. Wir erwarten auch nicht, dass Sie sich zu dieser späten Stunde noch abmühen und uns übersetzen«, fuhr Tobias unbeirrt fort. »Wir tun das schon selber.«
Der Fährmann spuckte geringschätzig aus. »Du willst die Winde bedienen, du halbes Hemd?«, bellte er. »Keine zehn Zahnräder weit kriegst du das Seil bei dieser Strömung voran! Das ist Arbeit für einen gestandenen Mann!«
Tobias schluckte die Beleidigung ohne mit der Wimper zu zucken hinunter. »Mein Freund und ich werden es schon schaffen«, beharrte er und fand es immer mühseliger, einen freundlichen Ton zu bewahren. Leo Kausemann hatte nicht übertrieben: Der Fährmann legte ein reichlich kratzbürstiges Benehmen an den Tag. Und die Flinte in seiner Hand ließ die ganze Sache noch unerfreulicher werden.
»Und wie kriege ich den Kahn wieder hier ans Ufer zurück, he? Mit ’nem Fingerschnippen vielleicht?«, fragte Jentsch sarkastisch.
Darauf wusste Tobias keine Antwort.
»Wir schicken jemanden aus Stillinghausen, dass er Ihnen den Fährkahn am Morgen wieder zurückbringt«, warf Sadik ein.
»Nein, verdammt noch mal! An meine Winde lass’ ich keinen anderen nicht!«, sagte Jentsch stur. »Betreibe den Fährdienst seit achtzehn Jahren und noch nie hat ein anderer als ich Hand an die Winde gelegt. Dabei wird es auch bleiben! Bin ein Mann von Ehre und Prinzipien! Werdet euch wie alle anderen bis Sonnenaufgang gedulden. Und glaubt ja nicht, ihr könntet euch den Kahn hinter meinem Rücken unter den Nagel reißen und übersetzen! Die Winde liegt an der Kette!« Er griff mit der Hand in die Tasche seiner Jacke und zog einen Schlüssel hervor. »Ohne den hier dreht sich die Kurbel nicht um eine Daumenlänge.«
»Die junge Frau da muss dringend zu ihrer Mutter. Sie liegt im Sterben!«, log Tobias. »Können Sie es über Ihr Herz bringen, sie die ganze Nacht hier am Ufer warten zu lassen, während ihre Mutter mit dem Tode ringt und den Morgen vielleicht nicht mehr erlebt? Nein, ich glaube einfach nicht, dass Sie so gefühllos sein und diese Schuld auf Ihr Gewissen laden können!«
»Wie heißt die Kranke und wo wohnt sie?«, wollte der Fährmann mit barscher Stimme wissen.
Tobias wurde bewusst, dass er noch nicht einmal Magdalenas Nachnamen kannte, geschweige denn die Größe des Ortes, in dem ihr Verlobter wohnte. Doch irgendeinen Namen musste er jetzt nennen, wenn er nicht ganz offensichtlich als Lügner dastehen wollte. »Maria Weber ist ihr Name und sie lebt in Stillinghausen«, antwortete er in der Hoffnung, dass zwei so gewöhnliche Namen wie Maria und Weber in dieser Kombination
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