Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
unschlüssig Distanz.
Die Tatsache, dass er tatsächlich das Interesse einiger Besucher erregt hatte, stärkte seinen Mut. Und das beklemmende Gefühl sich wie ein linkischer Tölpel aufzuführen wich einem langsam erwachenden Zutrauen in die Wirkung seiner Worte – und seiner Schauspielkunst. In seine Stimme geriet Schwung und seine Bewegungen wurden gestenreicher. Jana hatte völlig Recht: Was hatte er denn zu verlieren? Von denen da, die zögernd zu ihm herüberschauten, kannte er keinen. Alles Fremde. Leute, die sich auf dem Jahrmarkt amüsieren wollten. Also gut, sollten sie ihren Spaß haben – so oder so!
»Treten Sie nur näher. Was Sie hier sehen werden, kostet Sie nichts weiter als ein paar Minuten Ihrer Zeit! Und sind Sie denn nicht hier auf dem Jahrmarkt um das Ungewöhnliche zu erleben? Wir bieten es Ihnen – und zwar ohne dass Sie dafür bezahlen müssten!«, fuhr Tobias in der anreißerischen Rede fort, die er mit Jana einstudiert hatte. Es begann ihm regelrecht Vergnügen zu bereiten, sie mit seinen großspurigen Worten anzulocken. »Was wir hier ohne jeden Eintritt präsentieren, ist – obwohl schon unglaublich genug! – nur ein Abfallprodukt von Jana Salewas magischer Begabung. Und auch nur eine Magierin von ihrer Bedeutung kann es sich erlauben, so großzügig mit ihren übersinnlichen Kräften umzugehen und kostenlose Vorstellungen von ihrem Können zu geben. Also treten Sie näher. Sie werden es nicht bereuen, Sie haben mein Wort drauf!«
Er lachte insgeheim auf. Als ob sein Wort auch nur irgendwelches
Gewicht hätte. Aber manches musste man offenbar einfach nur frech weg behaupten um es Wirklichkeit werden zu lassen. Wenn Onkel Heinrich ihn jetzt sehen könnte!
Mittlerweile war die Menge aus Jung und Alt schon auf gut zwei Dutzend Köpfe angewachsen. Und der Umstand, dass sich hier Menschen zusammendrängten, erregte die Aufmerksamkeit und Neugier weiterer Jahrmarktsbesucher. Schnell bildete sich ein mehrere Reihen tiefer Halbkreis.
»Beginnen wir also mit der Vorstellung! Ich halte hier ein ganz gewöhnliches Kartenspiel in der Hand und Jana Salewa wird gleich jede Karte, die einer von Ihnen aus diesem Stapel zieht, benennen – denn sie fängt Ihre Gedanken auf!«, erklärte Tobias und hielt nach einem geeigneten Kandidaten Ausschau. Seine Wahl fiel auf eine korpulente Frau mit schon ergrautem Haar, die mit einem halbwüchsigen Jungen an ihrer Seite in vorderster Reihe stand.
»Darf ich Sie bitten eine Karte zu ziehen und sie sich genau anzuschauen?«, forderte er sie auf und hielt ihr den Kartenfächer hin.
»Ich?«, rief sie verwirrt, errötete und blickte sich unsicher um, als wollte sie sich vergewissern, dass tatsächlich sie gemeint war. »Ja, aber – ich weiß nicht …«
»Zieh schon, Mutter!«, drängte ihr Sohn sie. »Ist doch nichts dabei – und kostet auch nichts! Dafür haben wir Zeugen! Jeder hat das gehört!«
Tobias lächelte. »Ganz wie Ihr Sohn sagt: Es ist wirklich nichts dabei und kostet Sie auch nichts!«
»Na los!«, rief jemand von hinten. »Zieh schon, Muttchen!«
Mit spitzen Fingern zog die Frau eine Karte. Es war der Kreuz-Bube.
»Aufgepasst, verehrtes Publikum!«, rief Tobias nun mit theatralischer Stimme, griff sich kurz an die Nase, hakte den Daumen der freien Hand hinter den Gürtel und fuhr dann fort: »Beachten Sie, dass nur Sie sehen können, was ich hier in der Hand halte. Ich bitte jetzt um Ruhe, damit sich Jana Salewa konzentrieren kann. Absolute Ruhe bitte!«
Stille kehrte ein. Jana schloss die Augen, legte die Fingerspitzen an die Schläfen und verzog leicht das Gesicht, als müsste sie sich anstrengen.
»Kreuz … Das Kreuz ist ganz stark … in den … Gedanken, die ich auffange«, kam es nach wenigen Augenblicken stockend über ihre Lippen. »Ja, es ist Kreuz … und jetzt … jetzt … ja!« Sie brach ab,
öffnete die Augen, lächelte und sagte mit fester Stimme: »Kreuz-Bube!«
Staunen breitete sich auf den Gesichtern der Zuschauer aus, aufgeregtes Stimmengewirr setzte ein. Auch Tobias lächelte jetzt. Die erste Hürde hatte er mit Bravour überwunden. Und es machte tatsächlich Spaß! Ungemein sogar! Langsam verstand er, was damit gemeint war, wenn Jana von der Faszination des Schaustellerberufes sprach.
Auch bei der nächsten Karte ging das vorgebliche Gedankenlesen problemlos über die Bühne. Doch dann schob sich ein bulliger Mann in derber Zimmermannskluft nach vorn. »Kann ich auch mal?«, verlangte er. Seine verkniffene
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