Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
dann das Erwachen genießen«, stichelte er.
Eine geraume Weile verstrich, in der nur das gleichmäßige Schnarchen von Gaspard und das gelegentliche Rascheln von Stroh zu hören waren. Auch Sadiks Atem klang bald tief und fest.
»Tobias?«, wisperte Jana plötzlich.
Er wandte den Kopf und versuchte Janas Umrisse in der Finsternis der Scheune auszumachen. »Weißt du es?«, flüsterte er zurück.
»Ja, ich glaube zumindest«, wisperte sie.
»Was ist es?«
»Eine Wespe! Sie ist gelb und rot, hat eine geschnürte Taille, und ihr Stich kann ganz schön wehtun. Was meinst du?«
Tobias stöhnte unterdrückt auf, dass er nicht darauf gekommen war. »Na klar, eine Wespe! … Weißt du was? Du bist wirklich toll.«
»Toll worin?«, fragte sie leise zurück, jedoch mit einem wachen, erwartungsvollen Unterton.
»Na ja, im Lösen von arabischen Rätseln …«, antwortete er, und mit gleichfalls veränderter, fast zärtlicher Stimme fügte er nach einem kurzen Moment des Zögerns noch hinzu: »… und überhaupt.«
»Danke, Tobias«, kam es ganz leise und mit viel Wärme zurück. »Du bist sehr lieb, weißt du das?«
Er gab ihr keine Antwort. Nicht mit Worten. Ihm war, als hätte er einen Frosch im Hals, und das Herz pochte laut und freudig in seiner Brust. Sein Gesicht glühte, als er einer spontanen inneren Regung folgte und seine Hand im Dunkeln ein wenig ausstreckte.
Stroh raschelte.
Zwei Hände trafen sich.
Sie tauschten einen stummen, jedoch viel sagenden Händedruck. Dann kam der Schlaf und Tobias träumte von einem Tal ohne Wiederkehr.
Tambour – die Trommel
Der Bauer hatte nicht übertrieben. Die Landstraße befand sich in einem erbarmungswürdigen Zustand und stellte nicht nur die Kutsche auf eine arge Belastungsprobe, sondern auch ihre Insassen und die Pferde. Jana, Gaspard und Tobias wurden im Wagen hin und her geworfen wie drei Kieselsteine in der Blechdose eines Bettlers, der mit dem Scheppern auf sich aufmerksam machen will. Jana holte sich an diesem Tag mehr blaue Flecken, als sie sich im ganzen ersten halben Jahr ihrer Ausbildung zur Akrobatin unter Onkel Rene zugezogen hatte. Die klobigen Räder unzähliger Fuhrwerke, die ihre schweren Frachten aus dem Landesinneren zu den Hafenstädtchen brachten und mit Importwaren zurückkehrten, hatten tiefe Spurrillen in den Boden gegraben. Und die heftigen Regengüsse des Frühjahrs hatten durch Auswaschungen die Rillen vertieft und ihnen noch Querfurchen hinzugefügt. Zu diesem endlosen Gerüttel und Geschüttel kam dann noch die schwüle Hitze des Hochsommers. Trotz heruntergeschobener Fenster war es kaum auszuhalten im Wageninnern, und der Platz auf dem Kutschbock war an diesem Tag sehr begehrt. Da dort jedoch nur zwei Personen bequem sitzen konnten, wechselten sie sich jede Stunde ab.
»Ist mir unbegreiflich, wie man die Wüste lieben kann!«, stöhnte Gaspard, als sie gegen Mittag eine Rast einlegten und in den Schatten alter Eichen flüchteten. Ihm rann der Schweiß in kleinen Bächen über Gesicht sowie Brust und Rücken, sodass seine Kleidung große, dunkle Schwitzflecken aufwies. »Da brennt einem ja die Sonne das Mark aus den Knochen und das Hirn aus dem Schädel!«
»In der Wüste herrscht eine andere, trockene Hitze, die viel verträglicher ist als diese Schwüle«, erwiderte Tobias, der nicht weniger unter den hohen Temperaturen litt. »Und da kann es nachts sogar empfindlich kalt werden.«
Gaspard glaubte ihm nicht, wie sein Blick verriet. »Die Wüste ist was für Kamele und Sandflöhe. Mon dieu, was würde ich darum geben, wenn ich mich jetzt in den kühlen Weinkeller von Monsieur Rochelle schleichen und mich da auf ein paar alte Jutesäcke hinter die Fässer legen könnte!«
»So? Was denn?«, fragte Jana, der das schwüle Wetter erstaunlicherweise nicht ganz so viel zusetzte wie Gaspard und Tobias. Doch auch ihr Gesicht glänzte schwitzig.
Gaspard grinste. »Ich würde unter Umständen noch nicht einmal eine Flasche mitgehen lassen.«
»Unter Umständen, ja?«
»Na ja, vielleicht auch nicht. Und warum auch? Der fette Rochelle würde es vermutlich noch nicht einmal merken, wenn ich zwei Dutzend Flaschen auf einmal aus den Regalen klauen würde! Aber so etwas tue ich nicht. Ich hole mir da nur, was ich brauche«, erklärte er, und das ohne jedes Unrechtsbewusstsein. »Ihr müsstet sein Weinlager mal sehen. Da liegt ein Fass neben dem anderen wie Brote in einer Bäckerei! Und die Flaschenregale reichen bis unter die Decke
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