Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
Überzeugung.
Jana, die von ihnen zweifellos am weitesten herumgekommen war und der das Reisefieber so sehr im Blute lag wie Tobias und seinem Vater, musste darüber schallend lachen.
Eine Stunde später gelangten sie in ein kleines Dorf. Einen Gasthof fanden sie dort nicht. Doch gegen ein kleines Entgelt erlaubte ihnen ein Bauer, den Sadik vor der Dorfschenke angesprochen und nach der nächsten Unterkunft gefragt hatte, die Nacht bei ihm in der Scheune zu verbringen. Sadik nahm das Angebot an, als er hörte, dass die nächste größere Ortschaft mit einem Gasthof noch gute zwei Kutschenstunden entfernt lag und die Landstraße sich auf dieser Strecke in einem schlechten Zustand befand.
Mit einem Krug Milch sowie Brot und Käse fiel ihr verspätetes Nachtessen zwar nicht gerade üppig aus, doch hungrig und durstig musste sich keiner von ihnen auf dem Scheunenboden ins Stroh legen.
Danach nahm Sadik, der gläubige Muslim, die rituellen Waschungen vor, breitete seinen kleinen Gebetsteppich abseits der anderen auf dem Bretterboden aus, stellte sich in Richtung der heiligen Stadt Mekka und verrichtete die dreizehn rakats, das Nachtgebet.
Mit leiser, melodischer Stimme begann er mit der obligatorischen ersten Sure, die der Muslim im Stehen spricht: »Bismil-la-hir-rah-ma-nir-ra-him. Allham-du lil-lal-hi rab-bil-ala-min. Ar-rah-ma-nirra-him. Mali-ki jau-mid-din. Ija-ka na-budu wa ija-ka nas-ta-in. Ihdi-nas si-ratal mus-ta-kim-Sira-tal la-dhina an-amta alai-him. Ghai-ril-magh-dubi alai-him walad-dal-lin …«
Gaspard zupfte Tobias am Ärmel. »Sag mal, kannst du das verstehen?«, flüsterte er.
»Sicher, wie meine Muttersprache.«
»Und?«
»Sadik betet die erste Sure, genannt Al-Fatiha – die Eröffnung. Die steht am Anfang eines jeden Gebetes«, erklärte Tobias ihm leise und übersetzte den arabischen Text: »Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen. Preis sei Allah, dem Herrn aller Menschen in aller Welt, dem Gnädigen, dem Barmherzigen, dem Herrscher am Tage des Gerichtes. Dir allein dienen wir und Dich allein bitten wir um Hilfe. Führe uns auf den rechten Weg, den Weg derer, denen Du Deine Gnade erwiesen hast, nicht den Weg derer, die Deinem Zorn verfallen sind und irregehen.«
»Klingt irgendwie vertraut«, meinte Gaspard und fügte hastig hinzu, als fürchtete er um seinen Ruf als abgebrühter Gassenjunge: »Nicht, dass ich in die Kirche gehe und mir das Pfaffengewäsch anhöre. Aber ab und zu organisiere ich schon mal eine Kerze und stelle sie dann vor dem Marienaltar auf. Ich meine: Kann ja nicht schaden, oder?«
Tobias verkniff sich ein Grinsen. »Nein, natürlich nicht. Dass dir die erste Sure so vertraut vorkommt, ist übrigens kein Wunder, hat die Bibel dem Koran doch in mancher Hinsicht Pate gestanden. Immerhin hat Mohammed gute sechshundert Jahre nach Christus gelebt. Im Koran finden sich daher unter anderem auch Noah, Abraham, Moses und Jesus wieder und all die mit ihnen verbundenen Geschichten.«
Sadik verneigte sich nach Mekka hin, kniete nieder, hob die Hände bis zur Höhe der Ohren, Koranverse murmelnd, fiel nach vorn nieder, setzte sich auf, beugte sich erneut nach vorn, erhob sich – und dann begann dieser Wechsel der Stellungen wieder von vorn.
»Warum macht er das?«, wollte Gaspard wissen.
»Das sind nun mal die rituellen Bewegungen, die man beim Beten als Muslim zu verrichten hat«, erläuterte Tobias mit gedämpfter Stimme. »Einen solchen Ablauf nennt man ein rakat.
Das Nachtgebet besteht aus dreizehn rakats, während das Morgengebet nur vier umfasst. Mittags sind zehn, nachmittags acht und am Abend fünf rakats vorgeschrieben.«
»Fünfmal pro Tag muss Sadik seinen Gebetsteppich ausrollen und all diese … Verrenkungen machen und beten?«, fragte Gaspard verblüfft.
»Ja, und vor jedem Gebet muss man sich waschen: das Gesicht und die Hände bis zu den Ellbogen sowie die Füße bis zu den Knöcheln.«
»Scheint mir für ein Wüstenvolk aber ganz schön unpraktisch zu sein«, meinte Gaspard etwas spöttisch. »Wo da doch oft das Wasser knapp ist, oder?«
Tobias schmunzelte. »Auch daran hat der Koran gedacht. Diese Waschungen darf man deshalb nämlich auch mit Sand vornehmen – und davon gibt es in der Wüste ja mehr als genug, wie du mir wohl zustimmen musst.«
Gaspard lachte leise. »Na, wenn ich an all die Waschungen denke, ob nun mit Wasser oder mit Sand, dann sind mir die paar Tropfen Weihwasser, die unsereins verspritzen muss, schon lieber.«
Tobias hatte
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