Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
antwortete Sadik lakonisch. »So, und jetzt fahren wir in die Stadt.«
»Ist mir recht. Ich hab nämlich Hunger«, meinte Gaspard trocken.
Sadik schwang sich auf den Kutschbock und wickelte die Zügel vom Bremsstock. »Ich kutschiere, ihr bleibt im Wagen.«
Tobias salutierte. »Aye, aye, capitaine.«
Sadik wollte bei Dunkelheit in der Stadt eintreffen und ließ deshalb die Grauschimmel den Rest des Weges in einer sehr gemütlichen Gangart gehen. Der Himmel glühte noch eine Weile nach. Ein letztes Farbenspiel zeigte sich auf den Wolken. Dann fiel schlagartig das schwarze Tuch der Nacht über die Küste. Der einzige Lichtschein kam nun von Laternen und einem Leuchtfeuer, das in der Spitze eines kleinen Leuchtturms brannte. Er erhob sich am Ende einer L-förmigen Mole, die ein gutes Stück ins Meer reichte und den Hafen bei stürmischem Wetter vor den heranrollenden Brechern schützen sollte. Die Positionslampen der Schiffe sahen von weitem wie Glühwürmchen aus.
Am Rande von Tinville drängten sich die schäbigen und übervölkerten Behausungen der Armen und in der Hitze hing der Gestank der Fäkalien und Abfälle in unsichtbaren, atemnehmenden Schwaden zwischen den Gassen.
Glücklicherweise hatten sie diesen äußeren Saum des Elends rasch passiert. Nun dominierten die vielfältigen Gerüche aus den Küchen der Bürgerhäuser. Dann und wann zog auch ein Schwall Blumenduft an den offenen Fenstern der Kutsche vorbei. Die Straße führte abwärts ins Hafenviertel mit seinen zahllosen Tavernen, billigen Absteigen, Freudenhäusern, Kontoren, Lagerhallen sowie Werkstätten und kleinen Betrieben aller Art, die von der Fischerei und der Seefahrt ebenso lebten wie Segelmacher, Seiler und Schiffsausrüster. Hier lag über allem der Geruch, der allen Seehäfen auf der Welt eigen ist und sich aus salziger Seeluft, modrigem Seetang, altem Fisch, beißendem Pech und nassem Holz zusammensetzt.
Tobias erhaschte einen Blick auf Masten und Takelage, die sich wie filigrane Scherenschnitte vor dem Nachthimmel abzeichneten, als Sadik einen Häuserblock vor dem Hafenkai nach links in eine Gasse einbog. Sie kamen an dem Geschäft eines Schneiders und eines Händlers für nautische Instrumente vorbei, ließen den schmalbrüstigen Laden eines Flickschusters und die Werkstatt eines Schildermalers hinter sich und entdeckten in der Fensterauslage des nächsten Geschäftes das reichhaltige Angebot eines Hutmachers.
Nach mehreren Mietshäusern mit recht ordentlichen Fassaden und einigen weiteren Geschäften mündete die Gasse auf einen kleinen Platz, dessen Mitte ein kleiner Brunnen und ein halbes Dutzend Platanen schmückten. Linkerhand lag das Coq D’ore, ein massives graubraunes Gebäude. Schwere Balken durchzogen das Mauerwerk. Über dem Eingang hing ein Schild, das einen goldenen Hahn in stolzer Pose zeigte. Rechts und links davon drang Licht durch halb runde Fenster, die mit braunen Butzenscheiben versehen waren und an Schießscharten erinnerten und den kleinen, baumbestandenen Platz nur mäßig erleuchteten.
Sadik hielt jedoch nicht vor dem Eingang, sondern er lenkte das Gespann um den Gasthof herum in den geräumigen Hof, wo sich auch die Stallungen für die Pferde der Reisenden befanden, die hier abstiegen. Denn der Coq D’ore gehörte zu den guten Häusern im Hafenviertel von Tinville.
Ein schlaksiger, struppelhaariger Stalljunge kam aus dem Anbau und griff einem der Grauschimmel ins Zaumzeug.
»Ich mache das schon, mein Junge!«, rief Sadik ihm zu. Für einen Beduinen kam die Pflege seiner Tiere nach einem langen Reisetag an erster Stelle, und er versorgte sie selbst, weil nur so sichergestellt war, dass sie alles in dem Maße erhielten, was vonnöten war, um ihre Kraft und Ausdauer zu erhalten. Wer seine Reit- und Lasttiere in der Wüste vernachlässigte, brachte sich selbst in Lebensgefahr. Und solche Gewohnheiten ließen sich nicht so leicht abschütteln wie der Staub der Straße aus seiner Lammfelljacke. »Aber du kannst in den Schankraum laufen und Tambour sagen, dass Monsieur Babeurre gekommen ist und ihn zu sprechen wünscht.«
»Babeurre?«, echote der Junge, als meinte er sich verhört zu haben, denn das bedeutete ›Buttermilch‹.
Sadik lächelte. »Ja, du hast schon richtig verstanden.«
»Wie Sie sagen, Monsieur!« Der Junge eilte durch den Hintereingang ins Haus.
Tobias stieß den Kutschenschlag auf und sprang hinaus. »Seit wann heißt du Herr Buttermilch?«, erkundigte er sich mit fröhlicher
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