Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Anrufbeantwortern um sofortigen Rückruf. Aber Doro rief nicht zurück, und das war absolut untypisch für sie. Selbst wenn sie mal einen Anruf nicht annehmen konnte, so rief sie kurze Zeit darauf zurück.
Nach zwei Stunden begann sich Lena Sorgen um ihre Freundin zu machen. Vor allem, als sie bei ihren Versuchen wieder Zettel an den Apparat bekam, der Doros Telefon umgestellt hatte. Auch er versuchte, Doro zu erreichen, die heute noch keiner der Kollegen im Büro gesehen hatte.
Das war nichts Ungewöhnliches, sagte sich Lena. Sie wusste, dass Doro häufig Gespräche und Kontrollbesuche außerhalb des Büros durchführte. Vielleicht lag sie ja auch nur mit einer Erkältung im Bett, wie die Frau von Ernst, dachte Lena wieder einmal an den Grund der Auseinandersetzung mit ihrem Freund. Nach einem weiteren erfolglosen Telefonversuch beschloss Lena Hein, zu Doros Wohnung zu fahren.
Dorothea Huber wohnte in einem trostlosen Neubau, an der Berg-am-Laim-Straße, im Münchner Osten. Als einfache Sozialarbeiterin im Münchner Jugendamt war sie froh gewesen, eine halbwegs bezahlbare Wohnung gefunden zu haben, ja, sie war sogar ein wenig stolz auf ihr kleines Reich, das sie sich ohne fremde Hilfe geschaffen hatte. Doros VW-Bus stand vor dem Haus. Das beruhigte Lena ein wenig, aber ihre Erleichterung schwand, als auf ihr stürmisches Klingeln und ihr lautes Klopfen an die Wohnungstür keine Reaktion kam.
Dr. Lena Hein war eine Frau der Tat und rief Zettel an, der, obwohl er bereits in seiner Stammkneipe vor Bier und Abendessen saß, versprach, die Polizei zu verständigen und selbst auch zu kommen.
Die Münchner Polizei arbeitete eng mit dem Jugendamt zusammen und setzte für diesen Bereich speziell ausgebildete Beamten ein. Zehn Minuten später stürmten zwei dieser Polizisten bereits die Treppe hoch. Sie stemmten routiniert und beinahe geräuschlos die Wohnungstür auf. Nur das Licht der Straßenlaternen fiel herein. Die Lampe im Flur ließ sich nicht anschalten. Einer der Beamten tastete nach dem Sicherungskasten neben der Wohnungstür. Doch der Schalter der Hauptsicherung ließ sich nicht umlegen, er sprang immer wieder zurück.
Erst nachdem der zweite Polizist im Bad den Stecker des Toasters aus der Steckdose gezogen hatte, gingen die Lichter an. Nach einem kurzen Blick auf Doro taumelte Lena benommen ins Wohnzimmer. Sie musste sich setzen. Zwar hatte sie sich in den zehn Minuten, die sie vor der Wohnungstür auf die Polizisten wartete, bereits das Schlimmste ausgemalt, aber nun hatte sie der Anblick ihrer Freundin im Wasser tief getroffen.
Was mochte Doro dazu getrieben haben? Sie war ja nie groß vom Schicksal verwöhnt worden, strahlte aber dennoch immer viel Kraft und Zuversicht aus, jedenfalls hatte Lena das so empfunden. Und nun lag sie tot im Wasser.
Wie erstarrt saß Lena den Blick weit in die Erinnerung gerichtet. Hatte sie vielleicht irgendetwas in Doros Verhalten übersehen? Die letzte Zeit war furchtbar hektisch gewesen, und sie hatten selten Zeit füreinander gefunden, und wenn, dann hatten sie über dienstliche Probleme gesprochen. Lena stöhnte gequält auf und brach den Versuch ab, nach Gründen zu suchen. Erst einmal musste sie verstehen, dass ihre Freundin tot war. Unwiderruflich. Selbstmord. Ein furchtbares Wort.
Zettel kam hereingestürzt, setzte sich neben Dr. Hein auf den Boden und starrte vor sich hin. Lena wusste von Doro, dass Zettel sie immer wieder umworben hatte. Eine ganze Weile saßen sie da, jeder mit sich beschäftigt. Dann unterbrach ein Kriminalbeamter ihre Gedanken. »Ist das ihre Handschrift?«, wollte er wissen und hielt ihnen einen Kunststhülle hin, in der ein Kuvert steckte. Dorothea Hubers dürre Abschiedszeilen. Lena und Zettel nickten gleichzeitig und sahen sich an. Unverständnis und Irritation lagen in ihren Blicken. Doro, die Informantin! Ihre Bitte um Verzeihung, ihr Geständnis, ihr Selbstmord, wie sollten sie das alles so einfach verstehen?
Müde verließen sie Dorothea Hubers Wohnung, um sich wenig später wieder im Stadtcafé in Schwabing zu treffen. Ihnen beiden war die Vorstellung, allein in ihren Wohnungen zu sitzen, ein Graus. Sie brauchten lautes Leben und Hochprozentiges.
Irgendwann fiel Lena ein, Walcher über Doros Tod zu informieren. Dass sich Kommissar Brunner am Telefon meldete, verstand sie erst nach dessen Erklärung. Da vergaß sie kurzzeitig die vier Cuba Libre, die sie bereits intus hatte, und ging hinaus vor das Lokal, weil es dort ruhiger war.
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