Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Dossiers bei Rolf Inning noch um eine Woche hinauszuschieben, und das, obwohl er ihm den Text bereits am Wochenende hätte zuschicken können. Aber Walcher liebte es, seine Texte nach einigen Tagen Abstand noch einmal in aller Ruhe durchzulesen, nicht um sie zu überarbeiten oder zu korrigieren, das würden die Redakteure noch ausgiebig tun, sondern um den Gesamtkontext mit der ihm gestellten Aufgabe zu überprüfen.
Inning zeigte vollstes Verständnis, auch wenn er durchblicken ließ, dass GAU, wie er Günther Auenheim immer wieder gern nannte, täglich nach dem Manuskript fragte. Entsetzt durch Walchers Schilderung der Entführung und der Folterungen, hätte er ihm vermutlich sogar ein höheres Honorar zugestanden, quasi als Gefahrenzuschlag. Er schien auch damit zu rechnen und schob eine Besprechung vor, die in der nächsten Minute beginnen würde. Allerdings machte er noch den Vorschlag, Walcher könnte doch über seine Recherche eine Dokumentation schreiben, so unter der Headline: »Die Angst im Nacken«.
Walcher brauchte ihm seine mäßige Begeisterung nicht mehr zu erklären, Inning hatte seiner Anregung ein eiliges »Ciao und gute Besserung« angehängt und aufgelegt. Als sich Walcher eine Stunde später den Mailordner auf seinem Laptop ansah, überraschte es ihn nicht, bereits eine E-Mail von Auenheim vorzufinden. Der Verleger wünschte ihm ganz herzlich gute Besserung und meldete sich zu einem Krankenbesuch für den kommenden Freitag an, auch um das Dossier abzuholen. Er wolle nämlich das Wochenende in seiner Berghütte verbringen und könne dort etwas Lesestoff gebrauchen, schrieb er.
Walcher verfluchte den geschwätzigen Inning und sich selbst auch. Hatte er doch dank seiner übertriebenen Schilderung der Folterfolgen ein Eigentor geschossen. Nun hatte er nicht nur Auenheim am Hals, sondern auch noch das Problem, dass bis zum Freitag von seinen Hämatomen nicht mehr viel zu sehen sein würde. Vielleicht, so überlegte er grinsend, sollte er sich den Kopf einfach mit einem Verband umwickeln. Überhaupt könnte die Anteilnahme seiner Umgebung einen neuen Schub vertragen. Hatten sie anfangs noch selbstlos alle möglichen Hilfsdienste angeboten, lobten sie nun sein gesundes Aussehen, seine Mobilität und Selbständigkeit.
Walcher erkannte darin ihre hinterhältigen Absichten, sich vom Pflegedienst zurückziehen zu können, und das, obwohl er sich als ausgesprochen freundlichen und unkomplizierten Rekonvaleszenten betrachtete. Lediglich Rolli genoss die ungewohnt anhaltende Nähe zu Walcher und hatte sich sogar mit dem Rollstuhl angefreundet, den er anfangs ausdauernd verbellt hatte. Nachts, wenn das grässlich quietschende Ding frei war, lag er im Rollstuhl auf dem weichen Kissen, das so herrlich intensiv nach dem Herrchen duftete.
Auenheim
Sportlich gekleidet, als habe er vor, an einem Überlebenstraining teilzunehmen, klingelte Auenheim am Freitag pünktlich an der Tür. Er sah trotz seiner Sonnenbräune ungesund aus, fand Walcher und konstatierte, dass GAU noch fahriger und nervöser wirkte, als er ihn vom Treffen in Frankfurt her in Erinnerung hatte.
Walcher hatte auf der Terrasse einen Kaffeetisch gedeckt, Kaffee und Teewasser in Thermoskannen bereitgestellt und von Opa Armbruster ein paar Kuchenstücke anliefern lassen, aber Auenheim bat nur um ein Glas Leitungswasser und bestand darauf, es selbst aus der Küche zu holen. Er könne sich unmöglich von einem Rollstuhlfahrer bedienen lassen, wie er meinte.
Es dauerte einige Minuten, bis Walcher endlich den Grund für seine Irritation herausfand – es war der Kinnbart. Der akkurat rasierte Kinnbart, der ihm damals als besonders lächerlich aufgefallen war, fehlte in Auenheims Gesicht.
Auenheim musste Walchers grübelnden Blick bemerkt haben und lächelte.
»Ich habe diesen Ziegenbart nur getragen, weil der Verlagsgründer auch so ein Ding im Gesicht stehen hatte. Aber erzählen Sie, wie geht es Ihnen, und was ist vorgefallen? Inning hat mir nur in Bruchstücken von Ihrer Entführung berichtet.«
Walcher tat ihm den Gefallen, schließlich hatte er damit gerechnet, und hängte eine recht sachlich gehaltene Beschreibung der Entführung und Folterung an, und wie sich seine Recherche in den vergangenen Wochen geradezu verselbständigt hatte. Immerhin dauerte sein Vortrag eine halbe Stunde, erst dann schob er Auenheim die gehefteten Seiten seines Dossiers über den Tisch.
Auenheim hatte aufmerksam zugehört und Walcher nur einmal unterbrochen, als
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