Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Walcher wollte gerade vorschlagen, sie einfach ins Haus zu tragen, als Aischa plötzlich hochschreckte und derart gellend schrie, dass auch Lavra aus dem Schlaf gerissen wurde.
Irmi öffnete die hintere Wagentüre, legte den Finger an die Lippen und winkte den Mädchen, ihr zu folgen. Die beiden blickten zunächst skeptisch, aber Aischa verstummte und stieg aus. Lavra schloss sich an, schlaftrunken und schicksalsergeben, allerdings nicht, ohne sich die letzten Süßigkeiten zu schnappen.
Irmi fand es klasse, nicht nur einen, sondern unerwartet zwei Gäste zu haben. Sie führte die beiden hoch in ihr Zimmer, natürlich erst, nachdem Rolli die Neuankömmlinge ausgiebig begrüßt hatte, was ganz erheblich dazu beitrug, das Misstrauen der beiden Mädchen abzubauen. Irmi zeigte Lavra und Aischa Bad und Toilette, gab ihnen Schlafanzüge, Zahnbürsten und bot ihnen etwas zu trinken an.
Als Marianne und die beiden Männer kurze Zeit später nach ihnen schauten, saßen die drei auf Irmis Bett und blätterten in einem Fotoalbum. Leise gingen die Erwachsenen wieder nach unten in die Küche, sie wurden erst einmal nicht gebraucht, und stießen mit einer Flasche »Chateau du Comte«, die Johannes bei Bertram gegen Aufpreis erstanden hatte, auf ihre unversehrte Heimkehr an.
»Man sollte dem Grafen empfehlen«, meinte Johannes nach dem ersten Schluck des zwar durchgeschüttelten, aber recht ordentlichen Tropfens, »sich auf das Geschäft seiner Väter zu besinnen.«
»Wer sagt denn, dass es in dieser Familie nicht immer schon vor Ganoven wimmelte«, gab Marianne ihrem Mann in spe zu bedenken. Johannes und Marianne wollten nämlich im Oktober heiraten, mit einem katholischen Gottesdienst in einer idyllischen Bergkirche auf dem Pilatus. Doch nun wollte sie genau wissen, was sich auf dem Schloss abgespielt hatte. Deshalb dauerte es noch, bis die drei endlich in ihre Betten kamen.
Walcher wachte am nächsten Morgen erst auf, als Rolli über sein Bett sprang. Er stürmte Bärendreck nach, der wiederum von den drei Mädchen gejagt wurde. Das Haus war erfüllt von Gelächter und Rollis Gebell. Dass sich der Hund sogar die Treppe in den ersten Stock hinauftraute, schrieb Walcher dem Ausnahmezustand zu. So viel Trubel hatte es noch nie im Haus gegeben. Auch das Wetter spielte mit, und Marianne deckte auf der Terrasse einen üppigen Frühstückstisch, wie zu einem besonderen Festtag.
Als sich Walcher nach der Schule erkundigte, antworteten Irmi und Marianne fast im Chor, dass sie mit der Lehrerin abgesprochen hätten, dass Irmi besonderer familiärer Umstände wegen heute nicht am Unterricht teilnehmen könne.
»Was für besondere familiäre Umstände?«, wollte Walcher verdutzt wissen und wurde von Irmi aufgeklärt:
»Johannes und Marianne feiern heute ihre Verlobung.«
»Aha«, meinte Walcher, »weiß das auch Johannes? Das hätte er mir doch bestimmt erzählt.«
»Nein«, kam es lächelnd von Marianne, »aber gleich wird er es erfahren, und ihr seid unsere Verlobungszeugen, und du«, deutete sie auf Walcher, »bist später dann auch unser Trauzeuge. So haben Irmi und ich es gestern Nachmittag beschlossen.«
»Ja dann.« Walcher winkte Aischa und Lavra zu und setzte sich an den Tisch.
Es wurde ein heiteres Frühstücksidyll, genau so, wie in Werbefilmen Großfamilien dargestellt werden.
Rolli bekam zum ersten Mal in seinem Leben unter dem Tisch Wurststückchen zugesteckt, und Walcher ahnte, dass es Wochen dauern würde, ihm das Betteln wieder abzugewöhnen. Aber er wollte Aischa und Lavra den Spaß nicht verbieten. Noch mit vollen Mündern sausten die drei Mädchen vom Tisch, im und ums Haus herum, durch den Garten und über die Wiesen, so als hätten sie ihr ganzes Leben darauf gewartet.
Mit einem Glas Champagner stieß Walcher mit Marianne und Johannes auf die Verlobung an, von der Johannes eben erfahren hatte. Eigentlich hätte es ein fröhlicher Vormittag werden können, aber die rechte Feierstimmung wollte sich nicht einstellen. Im Gegenteil, häufig sahen sie heimlich auf ihre Uhren, und ihre Mienen wurden von Stunde zu Stunde nachdenklicher. Bald würde Frau Dr. Hein kommen, um die Mädchen abzuholen, und bei diesem Gedanken fühlten sie sich ein bisschen wie Verräter.
»Wieso hängen hier alle so traurig herum?«, tönte plötzlich Brunners Stimme. »Geben Sie mir doch bitte auch ein Gläschen von dem Perlwasser und lassen Sie mich auf Ihren Erfolg anstoßen«, deutete er erst auf die Flasche Champagner und dann
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