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Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)

Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)

Titel: Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Rangnick
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Journalist, aber wenn es denn so kommt, wie es gekommen ist, dann löffle ich die Suppe für gewöhnlich auch aus, die ich mir eingebrockt habe.«
    Mit einer Handbewegung, als wolle sie Walchers Worte wegwischen, fuhr Dorothea Huber fort: »Millionen von Kindern werden Jahr für Jahr sexuell missbraucht, gequält, ja auch vor Entführungen und ihrem Verkauf wird nicht zurückgeschreckt, als wären sie Handelsgüter. Ich habe als Kind selbst zu denen gehört, die missbraucht wurden. Von meinem eigenen Vater. Es fing an, bevor ich in die Schule kam. Da hatte er es schon so oft getan, dass ich mich nicht mehr an die Zahl erinnern konnte. Und es ging immer so weiter. Meine Eltern waren tief gläubig. Als ich versuchte, meiner Mutter von Vaters Spielen, wie er es nannte, zu erzählen, kam ich erst gar nicht dazu. Da war ich in der dritten Klasse. Sie schlug mich windelweich und nannte mich eine Hure, eine Geißel Jehovas. Auch im Freundeskreis gab es niemanden, dem ich mich hätte anvertrauen können. Alle gehörten der gleichen Glaubensgemeinschaft an und galten als rechtschaffene Bürger. Selbst die Lehrer in der Schule waren mit meinen Eltern befreundet. Und als ich einmal meinem Onkel, zu dem ich großes Vertrauen hatte und den ich sehr mochte, erzählte, was Vater mir antat, nahm er mich auf den Schoß und verlangte von mir, ihm genau zu zeigen, was mein Vater mit mir machte.«
    Doro nippte an ihrem Glas, sie hatte Vertrauen zu Walcher gefasst und war bereit, seine Frage, die er ihr vor einigen Tagen gestellt hatte, zu beantworten.
    »Mit elf lief ich das erste Mal von zu Hause weg, zwei Monate später ein zweites Mal. An meinem zwölften Geburtstag schluckte ich drei Röhrchen Schlaftabletten, die meine Mutter in ihrem Nachtschränkchen aufbewahrte. Ich hatte Glück, denn ich wachte im Krankenhaus auf, und eine Ärztin fragte und fragte und ließ nicht locker, bis ich mit dem Grund für meinen Selbstmordversuch herausrückte. Die Ärztin war eine Kämpferin. Sie ließ meinen Vater kommen und drohte ihn anzuzeigen, wenn er nicht zustimmte, dass ich bei ihr bleiben durfte.
    Die folgenden, wunderbaren Jahre verbrachte ich bei ihr. Sie nahm mich auf, behandelte mich wie eine leibliche Tochter und verschaffte mir einen Platz bei einer Therapeutin, die sich schon damals mit den Folgen von Traumen beschäftigte. Meine Eltern habe ich nie wieder gesehen. Kurze Zeit nach dem Gespräch mit der Ärztin zogen sie aus der Stadt fort. Noch heute verfolgt mich in meinen Träumen manchmal mein Vater, und wenn ich Kernseife rieche – damit wusch er mich vorher immer –, gerate ich in Panik, die ich nur mühsam kontrollieren kann. Oder wenn ich mit einem Mann schlafe oder im Gedränge von Menschen berührt werde, dann werde ich angetriggert. Das heißt, ich erleide eine Art Erinnerungsschock. Ich habe viele Jahre gebraucht zu lernen, damit umzugehen, aber es wird mich auch weiterhin mein ganzes Leben lang begleiten. Unser Gehirn ist so strukturiert, wir sind ihm ausgeliefert.«
    Walcher fühlte sich wie versteinert. Doro holte tief Luft.
    »So, jetzt kennen Sie meine Geschichte. Vielleicht können Sie sie für Ihre Reportage verwenden, mein Einverständnis haben Sie. Es wird Zeit, dass wir unsere Umwelt aufrütteln. Und jetzt gehe ich schlafen. Morgen ist Großkampftag, gute Nacht.«
    »Danke für Ihr Vertrauen«, Walcher war aufgestanden und reichte ihr förmlich die Hand, »jetzt verstehe ich, warum Sie sich so sehr für die Kinder einsetzen.«
    Doro lächelte müde: »Leider muss man wohl manche Dinge selbst erfahren haben, um Leid begreifen zu können. Gute Nacht«, wiederholte sie und ging in ihr Zimmer.
    Walcher blieb noch eine Weile auf der Terrasse sitzen und dachte an die Statistik. Tausende missbrauchte Kinder Jahr für Jahr. Anonyme Zahlen, bestenfalls nahegehend als Zustandsbericht einer Gesellschaft. Aber wenn sie plötzlich Namen erhielten und Gesichter, dann begann es weh zu tun. Ihm gingen Bilder von der Versteigerung der Mädchen im Burgund durch den Kopf und der gierig geilen Fratzen der Männer. Und er sah wieder in die Gesichter der Mädchen und fühlte sich müde und zerschlagen.

Rodica V
    Nach der endlos langen Fahrt lag Rodica auf einem schmuddeligen Bett in einem kahlen Zimmer und litt unter grauenvollen Wahngedanken. Zwischen Wachsein und kurzen Momenten, in denen sie in den Schlaf sank, schüttelte sie in Wellen heftiges Fieber.
    Obwohl sie entsetzlich durstig war, schaffte sie es nicht, aufzustehen und

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