Falkenjagd
an.
Unsicher blickte er zu seiner Frau, ob die es sich vielleicht
doch anders überlegte. Er selbst nahm wie so oft das dunklere, weniger
edle, dafür auch weniger nervöse Wanderfalkenweibchen Calisto mit auf
die Jagd.
Sie ließen sich zu einer kleinen Anhöhe bei
Streudorf kutschieren. Von dort aus hatte man den besten Überblick über
die Schleifen der Altmühl, die sich wie die an einem Stück geschälte
Schale eines Apfels durch die Sumpfwiesen wanden, bis sie schließlich
in den Himmel zu münden schienen. Außerdem lag die Anhöhe nur einen
Steinwurf von einem Buchenwald entfernt. Von dort flogen die Reiher
aus, um Fische zu fangen. Schaumige kleine Spinnennetze klebten im
gemähten Gras. Der Prinz hüpfte hinter Heuschrecken her. Charles sah
sich für einen Moment in Elisabeths Gesellschaft. Wie er den Arm um
ihre Hüfte schlang und mit ihr durch diese Wiesen spazierte.
Die Diener stellten die Sessel für die Damen auf. Nach den
vielen Regentagen umfing sie die Luft mit ungewohnter Milde.
Kersmackers positionierte sich mit Louise
auf der Faust so, dass diese den Wind für sich nutzen konnte. Der
Markgraf fixierte das weite Feld zwischen Fluss und Wald. Der Prinz
wurde müde und legte seinen Kopf in den Schoß seiner Gouvernante.
Caroline spielte mit den Hunden und schäkerte auch ein wenig mit den
Knechten. Friederike bewegte rhythmisch ihren Fächer und starrte auf
das Strohdach einer Scheune. So warteten sie alle zusammen eine gute
Stunde.
Als endlich ein Reiher als schwarzer Punkt in der Ferne
auftauchte, wurde der schlafende Erbprinz von seinem Vater wach
gerüttelt und auf die Beine gestellt. Der Markgraf und Kersmackers
warfen die Falken gleichzeitig von der Faust. Calisto schraubte sich
schnell in engen Kreisen empor. Alle Blicke folgten ihr. Sie hatten
keine Trompeten dabei und auch keine Trommeln, um die Attacke eines
Falken anzuschlagen, ihn anzufeuern und die eigene Spannung zu
steigern. Dafür schrie der Markgraf nach Leibeskräften, und jeder
konnte sehen, wie dieser große, kräftige Mann vor Glück vibrierte.
Seine Perücke lag längst wie ein pelziger Käfer im Gras.
Der Reiher, der die Gefahr erkannt hatte, stieg höher und
höher. Doch Calisto steilte weiter auf und kam ihm näher. Von Westen
waren in der letzten Stunde bauschige weiße Wolken aufgezogen und
trieben, sich immer wieder neu formierend, über den Himmel, so dass die
Vögel alle paar Sekunden verdeckt wurden, um dann in neuem Abstand
wieder aufzutauchen.
Caroline knetete den warmen Ohrlappen eines
nussbraunen Pudelpointers. Dem Flug der Vögel folgend, vergaß sie die
Zeit und damit die Angst, zurück in das Wasserschloss ihres Vaters zu
müssen, wenn sie nicht bald heiratete. Dort bildete sich im Winter eine
Eisschicht auf dem Inhalt des Nachttopfs, und selbst im Juni kroch
einem die Kälte die Beine hoch in den Unterleib. Es gab keinen Ort, an
dem Kleider und Bücher nicht schon nach einer Woche schimmelten, dafür
aber einen Vater, der sich an ihr verging, als er wieder keine hübsche
Magd für ihre Dienste bezahlen konnte. Hinterher weinte er jedes Mal
vor Reue und Scham. Ein paar Jahre hausten sie, so gut es ging, in
getrennten Ecken des Wasserschlosses, bis der Markgraf sie aufgrund
ihres berühmten Namens und ihres hübschen Aussehens nach Ansbach an den
Hof kommen ließ. Seitdem genoss sie jeden Tag.
Die kleine Jagdgesellschaft sah jetzt, wie
der Reiher alles ausspie, was er vorher in der Altmühl gefangen und
gefressen hatte. Auch seinen Kot ließ er ab. Nur so wurde er leichter
und stieg noch höher als Calisto, der man mittlerweile eine gewisse
Ermüdung anmerkte. Plötzlich entdeckte Kersmackers Louise. Sie hatte
ihren Steigflug in größeren Schrauben und langsamer angegangen, näherte
sich nun aber schnell ihrer Beute. Ihr heller Körper hob sich vom
inzwischen samtgrauen Treiben der Wolken ab – ein Schauspiel,
das den Markgrafen und Kersmackers begeisterte, als würden sie es heute
zum ersten Mal verfolgen. Die Wendungen, mit denen sich das
Gerfalkenweibchen dem langhalsigen Reiher näherte, sprachen eine
geheime, aber ihnen verständliche Sprache von Lust und Mut. Louise
näherte sich mit ihren weit gespreizten Flügeln der Begegnung mit dem
Tod. Sie jagte für die Männer unten auf der Wiese, egal, ob sie Fürst
oder Knecht waren. Sie flog für ihre Leidenschaften und Begierden und
ließ sie für eine Weile im Rausch des kunstvollen, eleganten Kampfes
über den Trübsinn und die Langeweile des Lebens
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