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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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triumphieren.
    Charles vergaß die Mühsal seiner Herrschaft
und die verfluchte preußische und Bayreuther Verwandtschaft, die ihm
das Leben schwer machte. Er vergaß auch Elisabeth, seine Schulden und
die Unruhe, die in ihm ratterte wie ein überdrehtes Uhrwerk. Er hielt
sich fest am Hals seines Falken, flog mit ihm immer höher und schmeckte
statt Salz süßes Blut zwischen seinen Zähnen.
    Einige lange Augenblicke – und das
waren die allerschönsten – konnte man nicht mehr ausmachen, ob
der Falke oder der Reiher höher stieg. Ihre Versuche, sich zu
überflügeln, wurden immer verwegener. Alles schien möglich, auch dass
die Falken in den Himmel flohen und sich ihre Freiheit nahmen. Aber
dann sah die kleine Gesellschaft plötzlich, wie sich der Reiher mit dem
Wind gegen den Falken drehte und ihn mit seinem aufgespreizten Schnabel
attackierte. Er wusste jetzt, dass er Louise nicht mehr entfliehen
konnte.
    Friederike wiederum wusste, dass Charles zu
abgelenkt war, um nach ihr zu schauen. Deshalb schloss sie die Augen
und ließ den Himmel Himmel sein. Sie war in Gedanken in Schwaningen, wo
sie sich diesen Sommer zum ersten Mal überhaupt umgeschaut hatte.
Bislang hatten ihre Tagträume und Versuche, am Hof mehr Einfluss zu
gewinnen, sie davon abgehalten und, wie sie sich heute eingestand, auch
ihren Verstand vernebelt. Seit der Begegnung mit dem Maler Carlone aber
hatte sie wieder Mut und Kraft und seit dem zweiten Sohn auch das
nötige Geld, um in Schwaningen etwas zu verändern, wenngleich sie im
Moment allerdings nicht die geringste Ahnung hatte, womit sie beginnen
sollte. Robinson Crusoe hatte auf seiner muschelgesäumten Insel mit
Sicherheit keine solche Trostlosigkeit vorgefunden wie sie vor vier
Wochen auf ihren Gütern.
    Mann und Frau und Kind standen als eine einzige verfilzte Wand
da, die sich nur gassenbreit auftat, um ihre Kutsche durchzulassen.
Zuerst waren gar keine Gesichter zu erkennen, sondern nur graue,
mottenzerfressene Lumpen. Der Verwalter, über dessen Gesicht sich eine
eiternde Wunde zog, schleuste sie über den morastigen, ungepflasterten
Hof zum Schlosstor. In ihrem Rücken lachte ein Schwachsinniger mit
gellend hoher Vogelstimme auf. Froh über dieses menschliche Zeichen,
drehte sich die Markgräfin zu ihm um und warf ihm ein Goldstück zu, das
ihm, wie sie sah, im nächsten Moment schon wieder entrissen wurde. Aus
den Augenwinkeln bemerkte sie die Jochbögen der Frauen, über die sich
die Haut straff spannte, und andere Zeichen des Hungers, die selbst die
Jungen, die Säuglinge mit sich trugen, alt und gebrechlich aussehen
ließen. Zwischen den verängstigten Bücklingen und Kratzfüßen von
Pfarrer und Bürgermeister schimmerten rot die mit aufgekratztem Schorf
und Ungezieferstichen überzogenen Köpfe der Kinder. Der blutige
Auswurf, den die Leute ungeniert auf den Boden spuckten, blieb in
Lachen stehen. Dann fiel mit einem Rumms das eisenbeschlagene Tor zu,
und die Hofdamen atmeten erleichtert auf, weil sie den Pöbel nicht mehr
sehen mussten.
    Friederike lehnte den Umtrunk ab, den man
ihr anbot. Sie wollte gleich die Ländereien, Scheunen und Ställe
besichtigen. Der Verwalter konnte sein Entsetzen nicht verbergen. Der
Pfarrer versuchte, sie zu einem Besuch der Dorfkirche zu überreden. Sie
hatte schnell durchschaut, dass die beiden unter einer Decke steckten.
    »Arbeit ist unser vornehmster Gottesdienst«, sagte sie dem
Pfarrer, wobei sie das Gesicht einer preußischen Königstochter
aufsetzte und leicht gehässig hinzufügte: »Außerdem ist ja nicht
Sonntag.«
    Sie raffte ihre Röcke bis zu den Knien hoch und stakste
wortlos durch den Morast aus Fäkalien und fauligem Stroh. Den Pfarrer
stach glücklicherweise eine Wespe, so dass sie ihn fortschicken konnte.
Zum ersten Mal wünschte sich Friederike, ihr Vater wäre jetzt bei ihr.
Er hätte seinen gescheiten Sekretär an der Seite gehabt, der
Notizblöcke mit eckigen Zahlen gefüllt hätte, nüchtern, unbestechlich
und allein Preußens Wohlfahrt verpflichtet. Der Vater selbst hätte
seine Stiefel gegen die morschen Zäune gerammt, damit sie zur Schande
des Verwalters gleich in sich zusammenfielen. An Ort und Stelle hätte
er die Knechte auspeitschen lassen, weil sie das Vieh dreckig und mager
hielten. Obwohl auf den Wiesen noch Gras wuchs, war man offensichtlich
zu faul zum Hüten, so dass die Rinder und Kühe in den feuchten Ställen
standen und kostbares Heu fraßen. Sie mutmaßte, dass seit Tagen nicht
mehr ausgemistet worden

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