Falkenjagd
würde dies nicht hinnehmen. Da war
sie sich sicher. Friedrich würde reagieren. Es fragte sich nur, wie.
11
D ieser schafsgesichtige Mensch mit dem
albern über der Stirn hochtoupierten Haar sollte ihr Bruder Heinrich
sein? Der, der ihr seit Jahren so kluge und herzliche Briefe schrieb?
Natürlich wusste sie, dass das handtellergroße Bild, das sie von ihm
besaß, wie alle Porträts der Hofmaler geschönt war. Aber dass er so
lächerlich aussah, hätte sie trotzdem nicht erwartet. Er war ja noch
ein blasser Dreikäsehoch von drei Jahren gewesen, als sie geheiratet
und Berlin verlassen hatte. Jetzt steckten seine Füße in Schuhen mit
pompösen Schnallen.
Der kleine Mann mit den spindeldürren Waden und dem von
Pockennarben überzogenen Gesicht stürmte auf Friederike zu und umarmte
sie länger und inniger, als es das Zeremoniell vorschrieb.
»Endlich, Schwester, endlich sind Sie da.«
Jetzt sah sie, dass er auch noch schielte. Trotzdem verliebte
sie sich sofort in seine großen runden Augen, die wie die ihren etwas
vorstanden und in denen, so fand sie, die in der ganzen Familie sonst
seltene Eigenschaft des Humors glitzerte. Humor, das wusste sie von
ihrem englischen Geschäftspartner Lord Bessborough, galt in England als
sehr schick.
»Sie sind gerade noch rechtzeitig gekommen«, flüsterte er ihr
zu, »um zu erleben, wie der Vorhang zu einer Schmierenkomödie fällt,
bei der es um nichts, aber auch um gar nichts anderes als die
Unsterblichkeit geht.«
»Voltaire und der böse Mensch, wie Maria Theresia unseren
Bruder zu nennen pflegt?«
»Gott sei Dank, Friederike! Sie sind tatsächlich so witzig,
wie ich Sie mir vorgestellt habe. Wie zwei alte Weiber giften sie sich
an. Dabei braucht der eine den anderen für den Weltruhm. Sie dagegen
scheinen ja überhaupt nicht eitel zu sein, kein Puder, kein Rouge,
sapperlot! Aber dieser kleine hellblaue Hut in Ihrem Haar, das muss ich
schon sagen, ist entzückend, wirklich entzückend. Wissen Sie schon,
nein, nein, Sie können es noch gar nicht wissen, dass ich jetzt,
allerdings auf nicht ganz legalem Wege, diese fabelhaften Schnitte von
dem jungen Gott bekommen, der die Garderobe für den Prinzen von
Angoulême entwirft. Wenn wir in Rheinsberg wären, würde ich Sie in
meine Kleiderkammer führen. Hier habe ich ja nur einen kleinen Teil
meiner Garderobe dabei. Ach, mein Gott, das muss ich Ihnen jetzt aber
noch schnell sagen, bevor er Sie in die Mangel nimmt. Friedrich ist
ziemlich neidisch auf Ihren Erfolg mit den Kartoffeln, das wäre nämlich
das richtige Kraftfutter für seine Soldaten. Aber die Bauern hier
weigern sich …«
Heinrich verdrehte seine Augen und schnappte nach Luft. Aus
Friederike platzte ein lautes Lachen heraus. Die Wände hallten vom Echo
ihrer Begeisterung über diesen Bruder, und sie schloss ihn, bevor er
weitersprechen konnte, noch einmal fest in ihre Arme. Die Kammerherren
und Hofdamen schauten sich nervös an, es wurde trocken gehüstelt und
geräuspert, die Fächer klappten hektisch auf und zu. Der König drehte
sich auf seinem Stiefelabsatz so heftig, dass das Parkett knirschte.
Bevor im ovalen Marmorsaal von Sanssouci
Weiteres außer Kontrolle geraten konnte, schob sich Prinz August
Wilhelm auf die Markgräfin von Ansbach zu. Er wäre als Zweitältester
Bruder und offizieller Thronfolger sowieso vor Heinrich an der Reihe
gewesen. Weil sich aber nur bei solchen offiziellen Festivitäten die
Gelegenheit ergab, hatte der stattdessen in einer der Fensternischen
zwischen den korinthischen Säulen mit der schönen Wilhelmine geflirtet,
die der König vor einem knappen Jahr mit Heinrich verheiratet hatte.
Jeder wusste, dass Wilhelmine auf immer und ewig Jungfrau bleiben
würde. Heinrich, so kicherte man, würde eher eine Küchenschabe
verspeisen.
Endlich mal ein Bruder, der die Frauen liebt, dachte sich
Friederike, und sie küsste auch August Wilhelm. In ihren Erinnerungen
war er noch der fröhliche Bub, der als Einziger auf den Schenkeln des
Vaters reiten durfte. Sehr verändert hatte er sich nicht. Dann sank
auch schon die unverheiratete Schwester Amalie vor ihr, der Markgräfin,
in die Knie, und das Papachen, wie Ferdinand, der jüngste der
Geschwister, genannt wurde, verbeugte sich steif.
Man schrieb das Jahr 1753. Der Krieg um
Maria Theresias Erbe war schon eine Weile zu Ende, als der König aus
heiterem Himmel seine Schwester nach Potsdam eingeladen hatte. Am
liebsten hätte sie gleich und sofort kommen sollen, aber sie
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