Falkenjagd
einstige Liebespaar des
europäischen Geistes, standen sich jetzt keifend und kleinlich wie
Eheleute kurz vor der Scheidung gegenüber. In Friedrichs mühsam
zusammengesuchter Tafelrunde ging es zu wie in einem Hühnerstall.
Keiner gönnte dem anderen ein Körnchen, und jeder hackte zu, wo er nur
konnte.
Demonstrativ blieb Voltaire den Festen und Empfängen fern.
Nicht weil der König ihn nicht einlud, sondern weil er wollte, dass
Friedrich seine Unabhängigkeit zu spüren bekam. Dafür sah Friederike
den alten Mann öfters im Park. Unruhig streifte sein spitzes
Vogelgesicht unter der altmodischen lang gelockten Perücke durch die
Kolonnaden. Manchmal allein mit gebeugtem Rücken, dann wieder aufrecht
und tänzelnd zusammen mit dem Bruder, dem die Windspiele zwischen den
Beinen hin und her sausten. Oft stritten sie hemmungslos, das konnte
sie auch aus hundert Metern Entfernung erkennen.
Einmal pirschte sie sich hinter Hecken
heran. Voltaire fuchtelte erregt mit seinem Gehstock, und Friedrich
presste seinen Mund so zusammen, dass er schmal wie ein Wickenblatt
wurde. Der Wind schluckte zunächst alles, was sie sprachen, dann
zischte plötzlich das Wort ›Willkür‹ an ihr Ohr. Sie schlich noch näher
und schnappte sogar einen ganzen Satz auf.
»Ich habe auch keine Lust mehr, wie eine Waschfrau Ihre
schmutzige Wäsche zu waschen und Ihre unzähligen Gedichte zu
korrigieren. Das hält ja kein Mensch aus, schon gar kein kunstsinniger!«
Friederike ging vor Schreck in die Hocke. So hatte noch nie
jemand mit einem König gesprochen, noch dazu mit einem Genie wie ihrem
Bruder. Sie musste ihren Rock zusammenhalten, so wehte es. Selbst die
starren Spalierbäume bogen sich, und der Himmel dehnte sich grau und
trüb bis nach Russland. Das bezaubernde Sanssouci kam ihr auf einmal
unwirtlich und barbarisch vor. Friedrichs Stimme schnitt durch die
Nachmittagsluft: »Ich wollte, dass Sie dieses grauenhafte Buch
verbrennen, jetzt aber kursieren davon schon dreißigtausend Exemplare
in Europa.«
Die Windhunde bellten, und Friederike sah sie über den noch
winterbraunen Rasen toben. Sie kauerte sich zusammen und hoffte, dass
man sie in ihrem Versteck nicht aufstöberte.
»Ihr Verhalten verdient es, dass man Sie in Ketten legt«,
schimpfte der König weiter.
»Ha ha ha, jetzt entlarven Sie sich selbst. Wo bleibt der
tolerante Freigeist, der zu sein Sie immer vorgeben? Ich jedenfalls
weiß genau, warum ich dreihunderttausend Livres im französischen
Landbesitz des Herzogs von Württemberg angelegt habe und nicht in
Preußen«, schoss Voltaire scharf zurück.
Friederike fror und bekam Angst. Vor der Herzlosigkeit dieser
beiden Männer, aber auch davor, dass die Gefühle ihrer Kindheit sie
wieder packten wie der schnellste Triesdorfer Falke ein Eichhörnchen
auf freiem Feld. Einsam und angewidert schlich sie ins Schloss und in
ihr prunkvolles Appartement zurück. Hätte sie jetzt wenigstens baden
können! Das, da war sie sich sicher, hätte ihre Niedergeschlagenheit
vertrieben. Aber in ganz Sanssouci gab es keine große Wanne, in die man
sich hätte hineinsetzen können. Sie hatte auch nicht gewagt, darum zu
bitten, eine anzuschaffen. Sie wusste, wie sehr der königliche Bruder
sparte. Was, so überlegte Friederike, nützten diesen Männern ihre
großen Ideen, wenn die Zirkulation ihres Blutes und die Straffung ihrer
Organe nicht funktionierte? Wenn sie übersäuert waren und voller
unguter, überhitzter Säfte, die nicht abkühlen konnten? So konnte doch
gar nichts Gescheites und vor allem Nützliches für die Menschheit
herauskommen.
Am nächsten Morgen, sie lag noch im Bett,
kam Heinrich in aller Herrgottsfrüh zu Besuch. Das war gegen seine
Gewohnheit, denn er schlief am liebsten bis elf Uhr. Er trug noch einen
Morgenrock, hatte sich allerdings schon fünf Diamantringe über die
Finger gestreift. Friederike fand es schön, dass er sich ohne Weiteres
zu ihr auf die Bettkante setzte.
»La Mettrie«, gluckste er, konnte vor Kichern aber nicht
weitersprechen.
»Ja?«
Friederike war schlagartig hellwach und setzte sich auf.
»Also, La Mettrie war gestern Abend …«, kicherte der
Bruder weiter und klopfte sich auf die Schenkel.
»Heinrich, du Quatschkopf.«
Beide vergaßen La Mettrie und schauten sich verdutzt an.
»Ach ja, Friederike, lass uns beim Du bleiben. Ich habe das
Gefühl, dass wir beide wirklich Freunde werden könnten.«
Friederike nahm Heinrichs hässliches Gesicht in ihre Hände und
küsste ihn auf seine
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