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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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dreckiges Lachen hervor:
    »Mensch, Henri, du altes Schlitzohr, was hast du dir da für
ein Täubchen angelacht? Die riecht ja förmlich nach Geld!«
    Der Arm, an dem sie ging, zuckte. Friederike sah zwei
unverschämte Augen, die zu einem kanariengelben Rock gehörten,
bedrohlich nahe aufblitzen. Der Arm drückte sie grob nach rechts, sie
gehorchte widerspruchslos. Das distinguierte Ehepaar aus Leyden
verschwand im Strom der Besucher und schwamm schnell durch die
geöffneten Türen, die scharf riechenden Flure entlang und weiter bis
zum Anatomischen Theater. In der allgemeinen Hochstimmung, dass gleich
der seit seinen Vorlesungen in Halle berühmte Cassebohm, der Spezialist
für die Beschaffenheit des Ohrs, höchstpersönlich erscheinen und einen
Menschen fachgerecht zerlegen würde, achtete niemand auf die einzige
Frau. An der Schwelle zu dem steil in die Tiefe herabsteigenden Saal
sammelte der Adlatus des Professors einen halben Taler für die Kerzen
ein.
    Sie setzten sich in die vorletzte Reihe. Friederike hielt den
Atem an und ließ ihre Augen emsig wie Ameisen durch das ganze Theater
wandern. Jede der sieben, rundherum laufenden Reihen war dicht besetzt.
Unten in der Mitte, für alle gut sichtbar, stand bereits der
Demonstrationstisch. Allerdings war er noch leer. Da entdeckte sie
plötzlich den kanariengelben Rock wieder.
    »Wer ist das?«, fragte sie leise.
    Ohne dass sie einen Finger ausgestreckt oder nur den Kopf
bewegt hätte, wusste er sofort, wen sie meinte.
    »Einer der Resurrektionisten«, antwortete er ebenso leise.
    »Wer?«
    Ihre Nachfrage war ihm offensichtlich unangenehm, denn er
zögerte unhöflich lange, bevor er antwortete: »Das sind die, die die
Leichen besorgen. Manchmal aus den Armen-, manchmal aus den
Waisenhäusern oder auch aus der Irrenanstalt in der Krausenstraße. Und
manchmal«, fuhr er fort und wurde noch leiser, »wenn es pressiert, sind
die Leichen noch gar keine Leichen.«
    Friederike schaute ihn unter ihrem schwarzen Schleier entsetzt
an. Aber sie kam nicht mehr dazu, weitere Fragen zu stellen, denn in
dem Moment kam Cassebohm.
    Beifall brandete auf. Der Arzt verbeugte sich nur kurz und
wandte sich gleich dem Körper zu, der von zwei Dienern auf einer Bahre
hereingetragen und auf den Tisch gehoben wurde. Friederike gab sich
alle Mühe, nichts zu übersehen. Hüstelnd und offensichtlich erkältet,
verkündete Cassebohm seinem Publikum, dass es sich bei dem heutigen
Demonstrationsobjekt um den Körper eines zweiundvierzigjährigen Mannes
handelte, der übrigens an Auszehrung gestorben wäre. Es wäre ein Situs inversus und damit
schlichtweg eine Sensation. Während seiner ganzen Laufbahn hätte er so
eine Kuriosität der Natur noch nicht in die Finger bekommen. Alle
Organe lägen seiner Vermutung nach seitenverkehrt.
    Durch die Zuschauerreihen ging ein Raunen. Mit so etwas hatte
man nicht gerechnet. Normalerweise liege die Herzspitze links in Höhe
des fünften Zwischenrippenraums, vom Brustbein aus gesehen neben einer
Linie, die lotrecht durch die Mitte des Schlüsselbeins oder durch die
Brustwarze gezogen werde.
    »Bei dem hier aber«, fuhr Cassebohm mit inzwischen kratziger
Stimme fort, so dass die Besucher auf den oberen Rängen Probleme
hatten, ihn zu verstehen, und deutete mit einer großen Geste auf das
hagere, mit wächserner Haut überzogene und nur mit einem Tuch über die
Genitalien abgedeckte Gerippe, »habe ich an besagter Stelle nichts,
aber auch gar nichts schlagen gehört. Was in Widerspruch zu dem Auf und
Ab seines Brustkorbes stand. Erst als ich mit meinem Stethoskop immer
weiter nach rechts wanderte …«
    Cassebohm musste an dieser Stelle seine Ausführungen
unterbrechen und heftig niesen. Den Rest seines Satzes schenkte er sich
und streckte gleich die Hand aus, damit ihm sein Adlatus eine blitzende
Lanzette reichte. Friederike starrte gebannt nach vorne. Im Saal
herrschte jetzt eine große, gewichtige Stille. Sie glaubte, ein kleines
zirpendes Geräusch zu hören. Cassebohm trat einen Schritt zurück.
Friederike kniff die Augen zusammen und konnte tatsächlich einen
wunderbar exakten Schnitt sehen, der sich bläulich vom Schambein bis
hoch zum Schlüsselbein abzeichnete. Gleich würde sie einen großartigen
Moment miterleben und hineinsehen können in das Wunderwerk der
menschlichen Maschine. Sie würde mit eigenen Augen die Anordnung der
Herzkammern und ihres Pumpsystems betrachten können. Der Professor der
Anatomie ließ sich schon die Säge geben.

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