Falkenjagd
Krieg geben?«
»Ja, und dieses Mal wird ganz Europa kämpfen. Ansbach sitzt
mittendrin. Mitten im Deutschen Reich und mitten in Europa. Ihr Gemahl
muss Farbe bekennen, und Ihr werdet ihm dabei helfen. Ansbach muss sich
Preußen unterordnen!«
Der letzte Satz klang als harscher Befehl in ihren Ohren. Der
König hatte es geschafft, dass seine Schwester erschrocken die Augen
niederschlug. Diese Partie sah er als gewonnen an. Er klopfte auf seine
Schenkel, und der Hund, der inzwischen vor dem Kamin geschlafen hatte,
kam und schmiegte sich an ihn. Friedrich kraulte ihn zärtlich und
drückte schließlich sogar sein Gesicht an den schmalen, zitternden
Körper. Friederike fragte sich, ob er je von einem Menschen so
vorbehaltlos geliebt worden war wie von seinen Hunden. Im gleichen
Moment aber fiel ihr ein, dass es ihr selbst ja nicht viel anders ging
als ihm. Auch sie war einsam und allein.
Erschöpft verließ sie die königliche Bibliothek. Der Besuch in
der Heimat entpuppte sich immer mehr als Enttäuschung. Steif und
teilnahmslos ließ sich Friederike eine halbe Stunde lang ausziehen und
sehnte sich dabei nach dem Frieden in Schwaningen. Auch das Leben am
Hof von Ansbach kam ihr, verglichen mit der Kälte des hiesigen, gar
nicht mehr so stumpf, sondern heiter und menschlich vor. Sie wollte
schon unter die Bettdecke kriechen, als ihr Blick auf die Vossische
Zeitung fiel, die seit dem Nachmittag auf einem Stuhl
gewartet hatte.
Am nächsten Morgen war sie es, die Heinrich
im Bett überfiel. Ihre Laune hatte sich gedreht wie ein Wetterhahn auf
dem Dach.
»Cassebohm ist am kommenden Freitag im Anatomischen Theater
der Charité«, jubelte sie.
Der Bruder gähnte erst ausgiebig und fragte dann mäßig
interessiert nach: »Von einem Cassebohm habe ich noch nie etwas gehört,
gibt er ein französisches oder eines dieser neumodischen deutschen
Stücke?«
»Heinrich! Cassebohm ist einer der berühmtesten Professoren
für Anatomie und seziert Leichen«, antwortete Friederike ungeduldig und
schlug seine Decke zurück.
»O mein Gott, war der Besuch bei Friedrich so furchtbar?
Hattest du Albträume?«
Heinrich hatte sich mittlerweile aufgesetzt und blinzelte
seine Schwester besorgt an.
»Wenn das klappen würde, dann …«, flüsterte
Friederike und suchte Heinrichs Blick, was bei seinem Schielen nicht
einfach war, »… wäre das für mich die Erfüllung eines Traums.«
Jetzt war Heinrich sprachlos. Was um Gottes willen ging in
seiner Schwester vor? Vielleicht stimmten die Gerüchte, und sie war
gemütskrank. Oder sogar geistesgestört. Aber es kam noch schlimmer.
»Heinrich«, sagte sie in einem Ton, den er sonst nur von
seinem Bruder, dem König, kannte, »du wirst mir dabei helfen!«
Der Herr, der Friederike am Freitag
eskortierte, war es gewohnt, in Rollen zu schlüpfen. Er hatte sich
schon oft als jugendlicher Liebhaber, als gehörnter Ehemann, aber auch
als quacksalbernder Arzt aus Padua auf der Bühne bewährt. Besonders
letzterem Auftritt und seiner Vertrautheit mit entsprechendem
Fachvokabular verdankte er den jetzigen, außerordentlich gut bezahlten
Auftrag. Das Einzige, was Friederike machen musste, war, sich
umzuziehen, denn ihr Begleiter hatte ihr auf Anweisung des Prinzen
Heinrich unauffällige bürgerliche Kleidung und einen dichten dunklen
Schleier mitgebracht.
Auf dem Platz vor der Charité, dem großen
Berliner Krankenhaus, das Friederikes Großvater hatte bauen lassen,
drängten sich schon die Studenten und Professoren anderer Fakultäten,
als auch ein Dr. Frans Holthuysen von der Universität Leyden mit dicken
Brillengläsern auf der Nase und seiner unscheinbaren Gattin am Arm
eintraf.
Friederike spürte ihr Herz bis in die Ohren klopfen. Habe ich
Angst, oder ist es nur die Vorfreude?, fragte sie sich. Sie klammerte
sich noch ein wenig fester an den Arm ihres Begleiters und starrte, um
jeden Blickkontakt zu vermeiden, beharrlich auf die Schuhe der
Umstehenden. Um sie herum wurde begrüßt, gejohlt, gelästert und
gestritten, geschoben und auf das Pflaster gespuckt. Laufburschen
verteilten Schriften, Studenten lasen noch im Stehen in Büchern nach.
Sänften wurden herangetragen, und Kutschen fuhren vor und brachten
weitere Besucher vor die Tore der Charité. Der Mann an ihrer Seite
genoss seinen Auftritt offensichtlich, denn er nickte würdevoll einigen
Unbekannten zu, die ihn wiederum mit geziemender Ehrfurcht
zurückgrüßten. In dem Moment quoll mitten aus der wogenden Masse der
Hüte ein
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