Falkenjagd
Friederike spürte ein großes
Glücksgefühl in sich aufsteigen.
Hinterher wusste sie nicht mehr, ob die zwei Schatten schon
länger hinter ihr gelauert oder sich ganz plötzlich wie hungrige
Kolkraben gesenkt hatten. Beide Männer waren ganz in Schwarz gekleidet
und trugen den gleichen schmucklosen Dreispitz wie ihr Bruder, der
König. Ihr Begleiter begriff schneller als sie, was los war. Mit einem
Satz sprang er auf, pflügte durch die schimpfenden Studenten hinter
ihnen und verschwand. Friederike blieb versteinert sitzen und hörte,
wie einer der beiden Fremden mit eisiger Stimme zu ihr sagte: »Madame,
folgen Sie uns umgehend.«
Noch immer konnte sie sich nicht rühren.
Inzwischen hatten sich alle Köpfe umgedreht und starrten zu
ihr und den beiden schwarzen Gestalten. Professor Cassebohm ließ seine
Hand mit der Säge sinken und schaute zuerst verwirrt, dann weiß vor Wut
über die Störung zu den Zuschauerplätzen hoch. Der Situs inversus lag weiter ruhig und ungeöffnet da.
»Eine Frau, eine Frau«, zischte es. Köpfe wurden geschüttelt,
Zöpfe wackelten, und vereinzelte Buhrufe waren zu hören. Wie in Trance
spürte Friederike, dass eine Hand ihre Schulter berührte. Einer der
beiden Raben hob sie regelrecht hoch und bugsierte sie an den anderen
Zuschauern vorbei. Vor ihren Augen tanzten undeutlich erschreckte
Gesichter und hämische Fratzen. Von irgendwo vernahm sie eine junge
Stimme, die rief: »Lassen Sie die Frau los, hier ist wissenschaftliches
Terrain, hier herrschen die Freiheit des Geistes und der Wissenschaft
und keine Tyrannei.«
Mit festem Griff wurde Friederike nach draußen und in eine
geschlossene Kutsche verfrachtet.
Das Verhör fand in einem Keller statt. Soso,
die Markgräfin von Ansbach sei sie, eine preußische Prinzessin, sogar
die Schwester des Königs selbst. Wie könne man das glauben? Der Mann
mit den stechenden Augen lachte höhnisch auf. Eine Dame von ihrem
Stand, eine Königliche Hoheit, würde nie und nimmer so gegen Sitte und
Anstand verstoßen wie sie. Wer und wo ihr Begleiter sei, fragte man
immer wieder. Ach, das wisse sie nicht. So eine sei sie also auch.
Treibe sich mit Männern herum, ohne deren Namen zu kennen.
»Wie heißen Ihre Auftraggeber?«
»Für wen spionieren Sie?«
»Was haben Ihnen die Österreicher gezahlt?«
Wie Hagelkörner prasselten die Fragen auf sie ein, immer und
immer wieder.
Nach drei Stunden verlor Friederike ihre
Würde und fing zu weinen an. Ihre Peiniger kümmerte das nicht. Im
Gegenteil: Nicht eine Sekunde ließen sie sie aus den Augen und gaben
ihr trotz inständiger Bitten keinen Schluck Wasser. Nur einmal durfte
sie ihre Notdurft in einem feuchten Verlies verrichten. Schmerz loderte
in ihrem Rücken, denn sie musste auf der vordersten Kante eines Stuhls
ohne Lehne sitzen. Ihre Augen brannten, und ihr Mund fühlte sich ledrig
und ausgefranst an. »Nein«, wimmerte sie immer wieder, »nein, ich bin
keine Spionin der Österreicher. Ich bin eine preußische Prinzessin.«
Gegen Mitternacht wurde die Tür aufgestoßen,
andere schwarze Rabengestalten mit einem Dreispitz auf dem Kopf drangen
herein. Sie sprachen schnell und barsch und, wie ihr schien, ein wenig
zivilisierter. Wieder wurde sie geschoben, dieses Mal sanfter, und
wieder in eine enge, dunkle Kutsche verfrachtet. Sie hatte nicht einmal
mehr Angst, so erledigt und müde war sie, als sie durch das nächtliche
Berlin rumpelte.
»Diese Halunken, die die Leichen für die
Sektionen herbeischaffen, müssen ein Geschäft gewittert haben, als sie
den guten Henri mit dir sahen«, murmelte Heinrich, während er ein paar
Stunden später seiner Schwester heiße Schokolade einflößte.
»Also haben sie die mysteriöse Dame in der Charité sofort der
Geheimpolizei unseres lieben Herrn Bruders gemeldet. Dafür gibt es
Kopfgeld. In Preußen sind Frauen erstens immer verdächtig, und zweitens
sind wir ja quasi von gefährlichen Huren umzingelt.«
Heinrich streckte drei Finger in die Luft und zählte mit
genüsslichem Spott auf: »Madame Pompadour in Frankreich, Zarin
Elisabeth in Russland und Maria Theresia in Österreich. Und dann kommt
eine noch daher und will zuschauen, wie man Männern den Leib
aufschneidet. Das ist Hochverrat, Hochverrat sage ich!«
Der kleine Mann imitierte wieder einmal komisch treffend die
Stimme des Königs, doch Friederike hatte im Moment keinen Sinn dafür.
Bleich und noch immer zutiefst erschrocken hielt sie ihre Augen
geschlossen und rührte sich nicht. Die
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