Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken

Gandar«, ordnete Calborth an. »Sag ihnen, dass ich sie sofort in Meister Torms Arbeitszimmer erwarte.« Er ging eilig davon.
    »Und was hast du selbst vor?«, fragte Bardelph. »Ich bleibe in deiner Nähe, falls du mit Rihscha fliegen willst.«
    Alduin lächelte dankbar. »Danke. Das hatte ich tatsächlich vor. Ich sage nur noch den anderen Bescheid, was geschehen ist und was sie zu tun haben, dann gehen wir los.«
     
    Bardelph wartete in der Bruthalle, während Alduin nach seinen Freunden suchte, um sie einzuweihen. Rael und Gandar gingen sofort los, um sich ihre Anweisungen von Meister Calborth zu holen. Twith nahm Astar aus dem Käfig und traf sich mit Alduin, Rihscha und Bardelph am hinteren Tor der Zitadelle.
    »Wir gehen durch das Westtor«, sagte Alduin. »Auf dem Rückweg will ich noch bei Madi Tarais Haus vorbeigehen und meine Kleider mitnehmen.«
    Bardelph und Twith nickten. Und sie brachen auf. Sobald sie in die Nähe des Marktes kamen, füllten sich die Straßen mit Leben, aber der eindrucksvolle Anblick von Risha und Astar, die stolz auf den Armen ihrer Falkner saßen, reichte ihnen allein schon aus, sich respektvoll eine Gasse durch die Menge zu bahnen. Als sie an dem Gasthof vorbeikamen, in dem Aranthia wohnte, zögerte Bardelph und sagte, dass er noch kurz mit ihr sprechen wolle.
    »Ich brauche nicht lange. Werde euch noch vor dem Tor einholen«, meinte er.
    »Willst du ihr davon erzählen?«, fragte Alduin beunruhigt.
    Bardelph schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Ich muss sie nur wegen einer Salbe fragen, an der sie arbeitet. Sie macht so gute Heilmittel, dass ich jemanden traf, der mit ihr verhandeln will.«
    »Grüß sie von mir«, rief ihm Alduin nach, als er mit Twith die Straße entlang weiterging.
     
    Das lebhafte Gedränge in den Straßen und Gassen zog Alduin trotz aller Anspannung wie immer in seinen Bann. Niemals würde er sich satt sehen können an all den Gesichtern, den Kleidern, den Waren, der Farbenvielfalt, den Gerüchen und dem Stimmengewirr. Stolz trugen die Jungen ihre Falken vor sich her, begleitet von vielen bewundernden Ausrufen.
    Plötzlich erregte eine Gestalt in der Menge Alduins Aufmerksamkeit: ein kleiner Mann, der sich wild gestikulierend mit einem der Händler unterhielt. Offenbar stritten sie sich um die Dolche, die zum Verkauf ausgelegt waren, und über all dem Lärm war nicht zu überhören, dass der kleine Mann wütend war. Alduin kam der Mann sehr bekannt vor, aber er konnte nicht genau sagen, wo er ihn schon einmal gesehen hatte.
    »Twith«, sagte er, blieb stehen und deutete auf den Fremden. »Der Kleine dort drüben - kennst du den?«
    Twith schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Sieht aus wie einer der reisenden Fath-Händler ...«
    Ein Fath-Händler! Wo hatte er schon mit einem Fath-Händler zu tun gehabt? In diesem Augenblick drehte sich der Mann um. Jetzt erkannte Alduin sein Gesicht sofort.
    »Carto!«, sagte er überrascht. »Was hat denn der hier zu suchen?«
    »Wer ist Carto?«, wollte Twith wissen.
    »Er hat Rihscha in Lemrik gestohlen«, sagte Alduin, wobei er sich kurz Twith zuwandte. Als er dann wieder hinübersah, war Carto verschwunden.
    »Er ist weg! Ob er mich gesehen hat? Nach allem, was passiert ist, hätte ich nie geglaubt, dass er es wagt, sich in der Stadt blicken zu lassen. Bardelph hat es ihm klar und deutlich untersagt.«
    Plötzlich kam sich Alduin in der Menschenmenge sehr verwundbar vor. Wie leicht würde es hier jemandem fallen, Rihscha anzugreifen - ein schneller Hieb oder gut gezielter Stoß mit einem Dolch würde absolut tödlich sein. Twiths besorgte Miene zeigte, dass er denselben Gedanken hatte.
    »Komm, wir verschwinden«, drängte Twith. »Ich gehe voraus, du bleibst dicht hinter mir und hältst die Augen offen. Vielleicht war das nur ein Zufall, aber man kann nie wissen.«
    Sie eilten weiter und die Menge wich ihnen bereitwillig aus. Falknern in Eile stellte sich niemand in den Weg. Am Westtor hielten sich nur wenige Menschen auf; dennoch beschlossen die Jungen lieber draußen vor der Stadt auf Bardelph zu warten.
     
    Der Raide fand sie im Gras sitzend und mit dem Rücken an die Stadtmauer gelehnt. Ihre Augen huschten ständig aufmerksam in alle Richtungen. Er spürte sofort ihre Anspannung.
    »Was ist passiert?«, fragte er.
    »Ich habe Carto in der Marktgasse gesehen«, erklärte Alduin.
    »Bist du sicher?«, rief Bardelph aus, offenbar bestürzt über diese Nachricht.
    »Fast sicher. Er kam mir irgendwie bekannt vor,