Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
verneigten sich grüßend.
»Kommt, kommt, es gibt keinen Grund, so förmlich miteinander umzugehen«, sagte die Elbin. »Gehen wir in den Garten hinaus. Wir sollten ganz offen miteinander reden. Möchtet ihr einen Becher Calba?«
Alduin und Erilea lehnten ab. Gemeinsam spazierten sie hinaus, in diskreter Entfernung folgten ihnen zwei Zitadellenwächter. Es war ein herrlich klarer Morgen; der längste Tag des Jahres war nicht mehr weit und es versprach, ein wunderschöner Sommer zu werden. Kirstie strahlte glücklich, trotz aller Strapazen, die hinter ihr lagen. Sie hatte tief und fest geschlafen und fühlte sich kräftig genug die Aufgaben zu übernehmen, die sie nach Nymath geführt hatten. Tief atmete sie die salzige Meeresbrise ein.
»Es war gerade Herbst in den Highlands, als ich die Grenze nach Nymath überschritt. Die Blätter fielen von den Bäumen und morgens lag dichter Nebel über dem See. Der Sommer schien so weit weg und alle bereiteten sich auf einen harten Winter vor. Dabei liebe ich die Sonne so sehr!«, rief sie aus, öffnete die Arme weit und drehte sich im Kreis.
Die anderen beobachteten lächelnd ihren unbeschwerten Tanz. Sie wunderten sich über ihre Zähigkeit.
Melethiell sagte leise zu Alduin und Erilea: »Sie stammt ohne jeden Zweifel von Gaelithil ab.« Sie beobachtete die junge Nebelsängerin eine Weile, dann fügte sie hinzu: »Kirstie hat mir erzählt, dass sie entführt wurde - aus diesem Garten hier. Doch sie kann sich nicht mehr daran erinnern, wie sie in ihr unterirdisches Gefängnis gelangte.«
»Wir haben das Rätsel gelöst und möchten Euch zeigen, was zwischen den Bäumen und Büschen verborgen ist«, sagte Alduin eifrig. Wieder einmal fühlte er sich in ihrer Gegenwart so ungehemmt und vergaß darüber die Ehrerbietung, die er der Elbin schuldete. Sie lachte vergnügt wie ein junges Mädchen.
»Hier in der Nähe, sagst du? Was denn? Bitte zeige es mir!«
Alduin führte die Gruppe zu der Bank. Er freute sich, dass er schildern durfte, wie sie dank eines Traums und mit Rihschas Hilfe den Eingang zum Tunnel entdeckt hatten. Vielleicht weil er jetzt wusste, wie der Mechanismus funktionierte, schien sich die Bank viel leichter beiseiteschieben zu lassen. Einen Augenblick später beugten sich alle über den schmalen Eingang zum Schacht und starrten in die Dunkelheit hinunter. Die beiden Wächter kamen ebenfalls näher, um einen Blick hineinzuwerfen.
Im gleichen Moment erhob sich Melethiell, legte all ihre Unbekümmertheit wie einen Mantel ab und schlüpfte wieder voller Anmut in ihre Rolle der Elbengesandten.
»Dieser Eingang muss von jetzt an ständig bewacht werden. Ich möchte sofort mit eurem Hauptmann sprechen!«, befahl sie.
Die beiden Wachen salutierten stramm und einer von ihnen eilte davon. Melethiell wandte sich an Alduin.
»Unterirdische Gänge, die mitten ins Herz der Stadt führen, sind eine sehr ernste Angelegenheit. Du hast es nicht für nötig gehalten, uns unverzüglich zu benachrichtigen?«
Alduin blickte sie unglücklich an. »Ich ... wir ... Malnar meinte, wir sollten so wenigen wie möglich davon erzählen, bevor wir nicht selber die Tunnel untersucht hatten. Wir wussten nicht, dass Kirstie dort unten war ... Wir suchten nach Hinweisen und Malnar dachte, wenn wir zu vielen Leuten ...«
Melethiell schloss die Augen, als lausche sie einer inneren Stimme. »Ich verstehe. Unmöglich zu wissen, was geschehen wäre, wenn ihr anders gehandelt hättet. Wir haben dich mit dieser Aufgabe betraut und du hast sie in bester Absicht ausgeführt.«
Ihre Worte beruhigten Alduin nicht völlig; ihm war nur zu klar, dass Carto wahrscheinlich auf frischer Tat ertappt worden wäre, wenn Alduin Melethiell sofort benachrichtigt hätte. Erilea und Kirstie hätten dann nicht im überfluteten Tunnel ausharren müssen. Die Elbin sah ihn an und ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
»Wie gesagt, man kann nie wissen, wie die Dinge ausgegangen wären, wenn wir anders gehandelt hätten. Mach dir keine Sorgen! Wann immer wir eine Entscheidung treffen, verändert sich alles, was vor uns liegt, und nichts ist mehr so wie zuvor. Das ist ein guter Grund, vor jeder Entscheidung gründlich nachzudenken. Aber wenn sie dann einmal gefällt ist, können wir nur noch unser Bestes tun.«
Alduin lächelte zurück; er hörte Aranthia aus diesen Worten sprechen: Wir treffen unsere Entscheidungen immer und nur in der Gegenwart. Allmählich begriff er die Wahrheit und war überwältigt. Er fühlte
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