Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
gewachsen. Er musste sich etwas anderes überlegen, und zwar schnell.
»So redest du nicht mit mir!«, gab der Mann wütend zurück. »Du kommst mit mir zur Nachtwache. Die werden schon wissen, was mit dir geschehen soll!«
Er gab Alduins rechten Arm frei, packte ihn aber am anderen Arm mit solcher Kraft, dass der Junge vor Schmerz aufstöhnte, und zerrte ihn hinter sich her. Zuerst wehrte sich Alduin nach Kräften, doch dann versuchte er es mit einer anderer Taktik. Er seufzte, als ob er sich in sein Schicksal ergeben hätte, und schlurfte willig neben dem Raiden her.
»Ehrlich, ich hatte nichts Schlimmes vor«, sagte er mit zermürbter Stimme. »Das Falkenhaus kommt mir irgendwie geheimnisvoll vor. Ich wollte es unbedingt sehen.«
»Schon möglich«, gab der andere ein wenig ruhiger zurück, obwohl seine Stimme immer noch gereizt klang. »Aber wir können nun mal nicht dulden, dass die Regeln so grob missachtet werden!«
Dem Mann mochte inzwischen klar geworden sein, dass er die Angelegenheit ziemlich überbewertet hatte, denn sein Ton wurde milder und er lockerte den Griff. »Die Nachtwächter werden sich um die Sache kümmern. Wenn du wirklich unschuldig bist, hast du nichts zu befürchten.«
»Ja, Herr«, sagte Alduin so unterwürfig wie möglich.
Aber er hatte nicht die geringste Lust, es darauf ankommen zu lassen. Er zermarterte sein Gehirn, wie er sich aus dieser Lage befreien könnte. Kurz darauf bot sich eine Gelegenheit. Als sie die Straßengabelung erreichten, an der Alduin kurz zuvor abgebogen war, sah er seine Chance und ergriff sie sofort. Er warf sich mit aller Kraft gegen den Raiden. Der Stoß kam so unerwartet, dass der Mann seinen Griff einen Augenblick lang lockerte. Lang genug für Alduin, um sich loszureißen und die Straße hinunterzurasen. Der Mann stutzte überrascht, dann jagte er hinter ihm her. Er holte auf, als Alduin bei den ersten Stufen ankam. Der Junge sprang mit einem einzigen Satz darüber hinweg, doch spürte er bereits, dass die Finger seines Verfolgers kurz über sein Haar streiften. Der Mann sprang ebenfalls, aber nicht weit genug, rutschte auf der untersten Stufe aus, knickte mit dem Fuß ein und stürzte. Alduin blieb kurz stehen, konnte sich aber nicht entschließen nachzuschauen, wie schwer der andere verletzt war, sondern wandte sich um und rannte davon in Richtung Gasthof. Erleichtert lachte er laut auf.
»Das wirst du mir büßen!«, schallte es drohend hinter ihm her.
»Fang mich doch, wenn du kannst!«, schrie Alduin zurück.
Am folgenden Morgen trafen sich Alduin und Aranthia mit Bardelph in der Wirtsstube zum Frühstück. Der Junge hatte seiner Mutter nichts von der unangenehmen Begegnung am Vorabend erzählt, sondern nur gesagt, dass er bis zur inneren Stadtmauer gegangen sei, wo ihm ein verschlossenes Tor den Weg versperrt habe.
»Hast du Calborth gefunden?«, fragte er, kaum dass sich Bardelph ihrem Tisch näherte.
»Euch einen schönen guten Morgen, junger Mann! Habt Ihr gut geschlafen?«, gab der Raiden mit spöttischem Augenzwinkern zurück.
»Ich ... äh, ja, klar. Tut mir Leid. Hast du gut geschlafen?«
»Das habe ich«, nickte Bardelph und begrüßte Aranthia höflich, wobei er die Hand auf die Brust legte. »Und Ihr, gute Frau?«
Sie lachte und spielte das kleine Spiel mit, Alduin ein wenig auf die Folter zu spannen. »So gut wie nie zuvor, werter Herr - wenn man bedenkt, dass es nicht mein eigenes Bett ist. Wollt Ihr Euch nicht zu uns setzen?«
»Sehr gerne«, antwortete er und bedeutete Alduin etwas zur Seite zu rücken, sodass er sich auf der Bank neben ihn setzen konnte.
»Ist es nicht ein wunderbarer Morgen?«, fuhr Aranthia fort.
»Gewiss. Der strahlend blaue Himmel verspricht einen schönen Tag.«
Alduin verdrehte ungeduldig die Augen, riss sich aber zusammen. Nachdem der Wirt einen Krug und einen Teller vor Bardelph gestellt hatte, fragte er mit seiner höflichsten Stimme: »Darf ich Euch ein wenig heißen Calba anbieten, werter Herr?«
»Danke, junger Freund.« Der Raide grinste und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Krug. Alduin beobachtete ihn gespannt, setzte aber die freundlichste Miene auf, zu der er fähig war, als sei ihm alles andere herzlich gleichgültig. Endlich stellte Bardelph den Krug wieder hin und schaute ihn an.
»Hast du heute Morgen irgendwas Besonderes vor?«, fragte er.
Alduin schüttelte den Kopf.
»Gut. Ich habe da nämlich mit jemanden gesprochen, der dich kennen lernen möchte.«
»Calborth?«,
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