Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
verliefen.
Bardelph lenkte den Wagen nach rechts. Kurz darauf tauchten sie in den Schatten der Häuser ein. Auf der einen Straßenseite standen ansehnliche Häuser, während auf der gegenüberliegenden Händler in Buden eine Vielfalt von Waren feilboten. Obwohl es schon recht spät war, herrschte immer noch reges Treiben. Das Maultier kam nur mühsam vorwärts, aber das machte Alduin nichts aus. Immer neue Gerüche stiegen ihm in die Nase und überwältigten ihn: Die reichen Düfte von Gewürzen, von gerösteten Kastanien und von Parfümen mischten sich mit dem weniger angenehmen Geruch von verrottetem Gemüse, verschwitzten Körpern und Staub. Begierig sog er die vielen Bilder in sich auf: den Mann mit dem eigenartigen langhaarigen Tier, das auf seiner Schulter hockte; einen anderen, der seltsam geformte Flaschen verkaufte, die ein Heilmittel gegen Krankheiten aller Art enthielten, wie er behauptete. Drei Frauen eilten vorbei - dunkelhäutige Wunand wie seine Mutter. Sie trugen eng anliegende schwarze Hosen und dazu passende Oberhemden, die an den Hüften von geflochtenen Gürteln zusammengehalten wurden. Darin steckte eine sehr ungewöhnliche Peitsche. Kinder rannten lachend hin und her und stibitzten den ahnungslosen Verkäufern Nüsse oder Obst. Eine Frau trug einen tönernen Wasserkrug auf dem Kopf.
Wohin Alduin seinen Blick auch wandte, immer wurde er von neuen, aufregenden Eindrücken gefesselt. Doch plötzlich, beim Anblick eines jungen Mannes, der einen Falken auf seiner Faust trug, geschützt von einem dicken Lederhandschuh, verflog Alduins Interesse für alles andere. Er drehte sich um und sah dem Falkner nach, bis er in dem schmalen Durchgang verschwand, an dem sie gerade vorbeigekommen waren. Alduin seufzte tief; erst jetzt merkte er, dass er den Atem angehalten hatte. Er fragte sich, wohin der junge Mann wohl gegangen sein mochte.
»Wir sind da«, sagte Bardelph. Alduin schrak aus seinem Tagtraum auf. Der Raide lenkte den Wagen nach links durch einen Torbogen in den Innenhof eines Gebäudes und brachte das Gespann zum Stehen. In diesem Augenblick schallte ein gewaltiger Glockenschlag über die Stadt. Alduin zuckte zusammen. In gleichmäßigen Abständen folgten sechs weitere Schläge. Für Alduin klangen sie wie gewaltige Hammerschläge eines Schmiedes auf glühendem Eisen.
»Was bedeutet das?«, fragte er, als das Läuten verklang.
»Siebte Glocke«, erklärte Bardelph. »Hier in der Stadt wird die Zeit mit Glockenschlägen gemessen. Acht Glockenschläge hat der Arbeitstag und acht Schläge hat die Nacht. Bei der vierten Glocke am Tag steht die Sonne am höchsten, die vierte Glocke bei Nacht bedeutet Mitternacht. Mittagessen gibt's normalerweise zwischen der vierten und fünften Glocke und so weiter.«
»Jetzt bin ich ganz durcheinander«, sagte Alduin.
Bardelph lachte. »Kann ich mir vorstellen. Aber daran wirst du dich bald gewöhnen! Kommt, fragen wir mal, ob hier noch Zimmer für uns frei sind.«
Er sprang vom Wagen und ging durch die Hintertür in das Haus. Aranthia stieg ab und streckte sich. Alduin lief sofort zum Torbogen zurück und sah auf die Straße hinaus. Aranthia kam hinterher.
»Es ist schon so lange her«, seufzte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es kommt mir vor, als lebten jetzt viel mehr Leute in dieser Stadt, aber vielleicht bilde ich mir das nur ein. Ich bin es einfach nicht mehr gewohnt, unter Menschen zu sein.«
»Hast du den Falkner gesehen?«, fragte Alduin aufgeregt.
Sie lächelte. »Ja, ich hab ihn gesehen. Er schien es ziemlich eilig zu haben.«
»Er lief in eine Seitenstraße.«
»Dort ist es ruhiger. Ich denke, der Lärm und die vielen Leute bringen einen Falken völlig durcheinander.«
Inzwischen hatte sich auch Bardelph zu ihnen gesellt. »Gute Nachrichten«, sagte er. »Zwei Zimmer sind noch frei. Eines liegt zur Straßenseite und ist ziemlich klein, aber mir reicht es völlig. Das andere ist größer und dürfte für euch beide gerade richtig sein. Es ist sehr ruhig und geht auf den Innenhof hinaus.«
Alduin hätte es nichts ausgemacht, das Zimmer zu nehmen, das auf der Straßenseite lag, denn er fand alles so aufregend, was er hier zu sehen bekam. Aber er wollte sich nicht beklagen und half Bardelph das Gepäck nach oben zu schaffen.
»Ich hoffe, dass ihr einverstanden seid«, sagte Bardelph, »ich habe die Unterkunft mit Frühstück für sieben Tage gemietet und dafür einen von Cartos Dolchen eingetauscht. Das gibt uns genügend
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