Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
gelandet war, bereitete Calborth sie auf die letzte Übung des Tages vor.
»Dieses Mal wird sich Bardelph noch weiter entfernt aufstellen und er wird auch kein Fleisch mehr in der Hand halten. Du wirst Rihscha befehlen zu Bardelph zu fliegen«, sagte Calborth. »Hast du verstanden?«
Alduin nickte, schloss die Augen und flüsterte Rihscha zu: »Flieg, Rihscha, flieg zu Bardelph!«
Der Falke sprang von seiner Faust und flog davon ...
... die Felsengipfel funkelten und glitzerten, als die Frühlingssonne die letzten Schneereste schmelzen ließ ... bald würde das Gelege schlüpfen, das sie und ihr Gefährte beschützten ... sie kreiste langsam über der Horstmulde ... Gefahr! ... Gefahr kam zum Horst! ... Sie krächzte, so laut sie konnte, und stürzte sich auf den Adler, versuchte tapfer ihm die Krallen in die Augen zu schlagen ... Der Adler warf sich herum, riss sich mit kräftigem Flügelschlag los und stieg hoch auf ... sie ließ los und stürzte sich nach unten ... von oben krallten sich Klauen plötzlich tief in ihren Rücken und brachen ihr Rückgrat ... alles wurde schwarz ...
Alduin brach zusammen.
Erst am späten Nachmittag zog sich das Wasser so weit zurück, dass Aranthia und die Familie, die ihr in der Nacht Schutz geboten hatte, zum Bauernhaus zurückkehren konnten. Die Flut hatte großen Schaden angerichtet. Die Gebäude waren zwar stark genug und hatten widerstehen können und auch die durchnässten Kleider und das Mobiliar würden trocknen, aber alles andere war nicht mehr zu gebrauchen: Die Strohmatratzen waren verschlammt und fielen auseinander, Mehl und Korn verfault und es sah so aus, als seien alle Hühner ertrunken oder davongelaufen. Ein unerwarteter Segen war jedoch, dass die Milchkuh zurückkehrte, die offenbar ebenfalls einen höher gelegenen Platz gefunden hatte und nun bei der ersten Gelegenheit instinktiv den Weg nach Hause gesucht hatte.
Die zweite Nacht der Katastrophe war fast so bedrohlich wie die erste. Obwohl sie nun ein Dach über dem Kopf hatten, konnten sie nur in leeren Bettgestellen schlafen, eingewickelt in feuchte Decken und Kleider. Obwohl sie immer näher zusammenrückten, reichte die Körperwärme nicht aus, um einander warm zu halten.
Doch der folgende Morgen brachte unerwartete Erleichterung und neue Hoffnungsschimmer: Ein Hahn und zwei Hennen pickten friedlich im Gras vor dem Haus; außerdem fand man ein verschlossenes Glas Emmermehl im Schlamm hinter einer Scheune. Aranthia verabschiedete sich von der Familie, als sie sah, dass die Lage nicht mehr so aussichtslos schien. Sie versprach Hilfe zu schicken, sobald sie die ersten weniger betroffenen Gebäude erreichte oder spätestens aus Sanforan. Sie schritt schnell und unermüdlich aus und neue Hoffnung keimte in ihr auf, als sie mehrere Ithilfalken sah, die auf das Überschwemmungsgebiet zuflogen, denn das bedeutete, dass bereits Hilfe unterwegs war. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Alduin zurück. Sie hatte nicht so lange wegbleiben wollen, aber die Dinge entwickelten sich ganz anders als erwartet - und der Sturm war nur der letzte Schlag gewesen, der ihre Rückkehr verzögerte.
Eine weitere Nacht verbrachte sie in der Ecke eines Viehstalls, doch dann sah sie endlich in der Ferne die Hauptstadt vor sich. Sie eilte weiter, aber plötzlich drängte sich eine Vorahnung heran, legte sich schwer über ihre Schritte und ließ ihr Herz heftiger schlagen. Als sie Sanforan endlich erreichte, ließ sie sich von ihrer Eingebung leiten und betrat die Stadt nicht durch das Westtor, sondern eilte um die Stadtmauer herum zum Haupttor. Schon aus der Ferne erkannte sie Calborth und Bardelph, die mit ernsten Gesichtern zur Stadt zurückeilten. Und der jüngere Mann trug einen leblosen Körper in seinen Armen.
Jemand rief seinen Namen. Die Stimme klang vertraut. Wo hatte er sie schon gehört? Er spürte, dass er in Sicherheit war, stieg aus der tiefen Dunkelheit zum Licht hinauf. Das Licht wiegte ihn sanft in den Schlaf, wie eine Erinnerung an die Arme seiner Mutter, als er noch ein kleines Kind war.
Als Alduin das Bewusstsein wieder erlangte, spürte er zuerst eine weiche Hand, die ihm das Haar aus der Stirn strich. Bei der Berührung wurde ihm so wohl, dass er unbeweglich liegen blieb und sie genoss. Endlich öffnete er die Augen.
»Mutter! Du bist da! Seit wann?«
Er richtete sich halb auf und umarmte sie heftig. Sie strich ihm sanft mit der Hand über den Rücken. »Still ... bleib ganz
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