Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
und eine enge Vertraute von Charles’ Königin Henrietta.«
»Was für Lord Stonehouse noch wichtiger ist«, sagte Lucy, »sie hat einen Sohn zur Welt gebracht.«
»Lord Stonehouse hat noch einen Sohn?«, rief ich.
»Die Frau ist Richards Frau.«
Anne spie diese Worte aus. Ich tastete nach meinem Glas, setzte es indes sofort wieder ab. Ich konnte an diesem Ort nichts mehr annehmen, nicht einmal etwas zu trinken, obgleich ich es dringend brauchte. Ich wandte mich an Anne. »Komm. Ohne diese Leute sind wir besser dran.«
Erneut hatte ich meine Worte unglücklich gewählt. Die Countess hob die Brauen. Anne fuhr mich an. »Besser dran? Soll das ein Scherz sein? Wenn du Cromwell den verlogenen Brief deines Vaters gezeigt hättest …«
»Wenn ich ihn verraten hätte. Mich verhalten hätte wie er, meinst du wohl.«
»Ach, du bist einfach zu gut für diese Welt, Sir. Ich hätte dich nie geheiratet, wenn du nur ein Drucker gewesen wärst.«
Ich lachte. »Komm, das stimmt nicht. Du bist die Tochter eines Druckers, Madame, die sich als Lady verkleidet, genau, wie ich von Zeit zu Zeit den Edelmann nachäffe. Das ist alles Unsinn, nichts als Theater. Wir haben schon so oft über das alles gesprochen. Komm. Sehen wir zu, dass wir von diesen Leuten wegkommen.«
Sie kam auf mich zu. Sie reichte mir kaum bis zur Schulter, schien sich aber zu recken, bis sie fast so groß war wie ich. Ihre geliehenen Kleider waren kostspieliger, als wir es uns je würden leisten können. Ihr Seidenkleid knisterte beim Gehen, das dunkle Blau passte zu ihren Augen, die ich nie vergessen hatte. Hinter ihr sah ihre Beraterin, die Countess, gelassen zu. Annes Stimme war nervenaufreibend ruhig.
»Und Luke, was ist er?«
Lucy erhob sich halb, setzte sich indes nach einem kurzen Blickwechsel mit Anne sogleich wieder hin. Ich konnte ihre Blicke nicht deuten und sagte nichts.
»Ich bin eine Dame, Sir, und Ihr seid ein Edelmann«, sagte Anne.
»Nun dann«, sagte ich gleichermaßen gesetzt, »müsst Ihr Euch an Euren neuen Stand im Leben gewöhnen.«
Warum war sie immer dann am begehrenswertesten, wenn sie so zornig war? Ihre Stimme blieb leise, aber sie hatte die Fäuste geballt, und die Wangen waren tiefrot. »Diese Ländereien gehören dir, Sir. Man hat sie dir versprochen, du hast sie verdient, und du wurdest darum betrogen. Und ich werde dafür sorgen, dass du sie bekommst.«
»Du wirst?«
Sie hob ihre Stimme. »Auf dem einen oder anderen Weg. Ja.«
Lucy hatte sie gut unterwiesen. Ich hatte genug von diesem Unsinn. »Komm«, sagte ich barsch.
»Wohin? Zu deinem Waldvolk?«
Ich würde mich nicht reizen lassen. »Anne. Es geschieht. Wir müssen ein Teil davon sein. Zusammen.«
Ihr Lippen bebten. Ihr Blick verschleierte sich. Ich konnte den alten Zauber zwischen uns spüren. »Komm«, sagte ich sanfter.
»Du redest von Männern ohne Herren«, sagte sie.
»Ja.«
»Redet irgendjemand auch von Frauen ohne Herren?«
Ich lächelte. »Soweit ich weiß, nicht.«
Sie ließ den Kopf sinken und ging zur Tür. »Also gut.« Ihre Stimme brach. »Ich werde dir gehorchen, genau, wie ich es tat, ehe du fortgegangen bist. Ich bat dich, hierherkommen zu dürfen, aber du hast mich nicht gelassen, und ich habe dir gehorcht.« Ihre Stimme war erfüllt von bitterem Bedauern. »Du sorgst dich mehr um dein Waldvolk als um uns.«
Lucy sprang auf. »Anne! Stört ihn nicht!«
»Was ist los?«, rief ich. »Was ist geschehen?«
Doch Lucy war Anne bereits nachgeeilt. Ich folgte ihr durch die Galerie, wo ein Bediensteter, der gerade ein Bild an die Wand hängte, uns von der Leiter aus angaffte. Lucy lief einen spärlich erleuchteten Korridor entlang, der zu einem Gesellschaftszimmer führte. Ich rief laut nach Anne. Lucy blieb stehen, drehte sich um und legte verzweifelt den Finger an die Lippen. Ich rannte beinahe in sie hinein und stieß gegen einen Tisch. Eine Vase fiel herunter und zerschmetterte auf dem Boden.
Ich hatte Lucy noch nie so bekümmert gesehen, doch als ich eine Entschuldigung murmelte, sagte sie nur immer wieder: »Schert Euch doch nicht um die Vase!«
Ich hörte einen schrillen Schrei. Ich konnte nicht glauben, dass es Luke war. Es klang wie der Schrei eines Tiers, das in einer Falle gefangen war. Ich stürzte in das Zimmer. Er lag auf einem Sofa, das als Bettstatt hergerichtet war. Eine Seite seines Gesichts war nahezu unversehrt. Die andere war bis auf das rohe Fleisch verbrannt. Die Wunde war mit einem dieser Verbände behandelt worden,
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