Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
zitternd und keuchend, und küsste sie, bis wir am Ende in Schweigen gehüllt dasaßen. Als sie sich schließlich rührte, fragte ich sie erneut, was los sei, doch sie schüttelte nur den Kopf. Da konnte ich meine Worte nicht mehr zurückhalten, so wenig, wie ein Fluss bei einer Überschwemmung in seinem Bett blieb.
»Ach Anne, was war das für eine Reise! Ich habe wundervolle Dinge gesehen. Weißt du noch, der Schatz, über den wir als Kinder gesprochen haben? Ich habe ihn gefunden. Er ist nicht in einer Truhe, wie wir geglaubt haben, gesichert von großen, rostigen Beschlägen, versperrt mit einem Schloss, dessen Schlüssel erst gefunden werden muss. Es ist das gewöhnliche Volk. Es hat den König und das Parlament zusammengebracht. Es hat angefangen, zu sprechen.«
»Zu sprechen?«, flüsterte sie, halb weinend, halb lachend.
»Aye. Die Sprachlosen haben ihre Stimme gefunden.«
Sie war so, wie wir als Kinder gewesen waren, einerseits tat sie es als Unsinn ab, andererseits wollte sie unbedingt mehr hören. Ich erzählte ihr von Scogman, oh, ein hoffnungsloser Gauner, der jetzt von einer besseren Welt sprach. Von den ungebundenen Männern, die keinem Herren gehorchten, und von der Flöte der Freiheit. Selbst der König hatte ihre Melodie mitgesungen! Obwohl er die Hälfte von ihnen abgeschlachtet hatte, hatte der König stets gesagt, wie sehr er sein Volk liebte – und jetzt war er inmitten der einfachen Leute geritten, seine Standarte hatte neben der von Black Tom im Wind geflattert. Ich erzählte ihr, dass die Propheten sich irrten; jeder von ihnen, der von Untergang und Vernichtung sprach. Der Krieg war nicht das Ende der Welt. Er war ein Anfang – der Beginn einer Welt, in der König und Parlament sich den Fragen des Volkes stellen mussten.
Es klapperte leise, als Lucy ihr Glas auf den Tisch stellte.
Ich stand auf, ohne Annes Hände loszulassen. »Komm. Lass uns nach Hause gehen.«
Es war nur eine alltägliche Redewendung, die tröstlichste, die es auf der Welt gab, so selbstverständlich, dass sie mir gedankenlos entschlüpft war. Es war, als hätte ich ein Streichholz an einen Karren mit Schießpulver gehalten. Anne riss ihre Hände weg.
»Nach Hause? Wo soll das sein? Sag es mir! Na los, sag es mir!«
»Wir können zu deinem Vater gehen, während wir das Haus wieder aufbauen …«
»Wieder aufbauen? Womit?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie auf Lucy los, die ebenso erschrocken über ihren Wutausbruch schien wie ich. »Sagt es ihm. Sagt Ihr es ihm. Ich kann nicht.«
Sie warf sich zurück auf die Chaiselonge und wandte das Gesicht von mir ab.
Ausnahmsweise kam Lucy diesmal direkt zur Sache. »Weder Lord Stonehouse noch Cromwell wollen noch etwas mit Euch zu tun haben, einem gefährlichen Radikalen, der den König entführt hat.«
»Entführt? Wir haben den König vor Richard gerettet!«
»Das bestreitet er.«
»Er bestreitet es? Er war dort!«
Ich tastete nach dem Wein und schenkte mir selbst ein.
»In der Börse spricht man davon, dass bei so einer gefährlichen Bande alles Mögliche hätte passieren können. Der König benutzt das als Druckmittel in den Verhandlungen. Cromwell leugnet, irgendetwas mit dem Fahnenjunker Joyce und dem Rest von euch zu tun zu haben.«
»Er … er hat sie bezahlt! Mich auch«, stammelte ich und durchwühlte meine Taschen, um den Zahlschein der Armee hervorzuholen, den man mir gegeben hatte.
»Natürlich hat er sie bezahlt. Damit sie den Mund halten.«
»Ich nicht.«
»Ohne Zweifel ist das der Grund, warum man Euch in den Kerker geworfen hat.« Sie nahm den Zahlschein. »Er sieht echt aus. Ich gebe zu, es ist seltsam, dass man Euch freigelassen und ausbezahlt hat.«
Ich konnte nichts sagen, ohne Mr Ink zu verraten, und nahm den Zahlschein wieder an mich. »Cromwells Segen«, sagte ich verbittert. »Man kann keinem von ihnen trauen. Richard soll nur nehmen, was er von seinem Vater bekommt. Falls er etwas bekommt. Als ich das letzte Mal in der Queen Street war, sah ich die Frau, die er heiraten will.«
»Lord Stonehouse?«, rief Lucy.
Ich zog eine grimmige Befriedigung daraus, ihr wenigstens einmal etwas erzählen zu können, das sie nicht wusste. »Dem Anschein nach, Madame. Ich sah sie in seiner Kutsche davonfahren.«
»Eine hochgewachsene Frau«, sagte Lucy, »eher ansehnlich als hübsch, mit grünlichen Augen?«
»Ihr kennt sie?«
»Ich weiß, wer sie ist.«
»Ihr Name ist Geraldine«, sagte Anne. »Sie ist die Tochter des Duc de Honfleur
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