Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
auf, das Gesicht kreuz und quer verschmiert mit Streifen aus rötlichem Ocker und Druckerfarbe. Ich küsste sie sanft. Ihre Lippen schmeckten nach salzigem Fisch. Stockend und immer wieder tief Luft holend, wenn die Tränen sie erneut zu überwältigen drohten, erzählte sie, dass Matthew ihr gesagt hätte, mir drohe große Gefahr von einem bösartigen Geist. Seufzend erklärte ich ihr, dass Matthew Geschichten erzählte, ellenlange Geschichten, so lang wie St. Paul’s hoch war. Aber diese hier sei wahr, rief sie heftig. Es gäbe einen Anhänger, in dem ein bösartiger Vogel lebte. Er hatte Anne geschnappt, und jetzt habe er es auf mich abgesehen.
Ich begann zu lachen, dann spürte ich, wie sie zitterte. Ich erinnerte mich an die Bilder, die Matthew mir als Kind in den Kopf gesetzt hatte: die Irrlichter im Moor, der Mann mit der Narbe. Es gäbe doch einen Anhänger, fragte sie. Es gab ihn. Und Matthew hätte mich gewarnt, dass er die Quelle des Bösen sei? Das hatte er, aber … Ich versuchte ihr zu erklären, dass der Besitz der Stonehouse und die Gier das Böse seien. Wie viel sie begriff, wusste ich nicht. Was zählte, war, dass sie an das Böse aus Matthews Geschichte glaubte, nicht an meine prosaische Version. Und wie üblich handelte es sich bei Matthews Geschichte um Unsinn, der listenreich einen wahren Kern umhüllte.
Schniefend entzog sie sich mir. »Egal«, sagte sie mürrisch, »er weiß Bescheid. Ich habe es satt, dass ihr beide unglücklich seid, hat er gesagt. Warum haut ihr nicht ab und seid zusammen unglücklich?«
Ich lachte laut auf. Sie sagte ohne Zweifel die Wahrheit, und sie hatte Matthews Tonfall perfekt getroffen. Jetzt erkannte ich, was sich hinter meinem Rücken zusammengebraut hatte. Matthew hatte Anne nie gemocht. Er hatte sich geweigert, zu unserer Hochzeit zu kommen. Er fürchtete sich vor den Stonehouse und bereute es, den Anhänger gestohlen zu haben, denn alles, was danach folgte, beruhte seiner Ansicht nach auf diesem Diebstahl. Und, das wurde mir plötzlich schmerzlich bewusst, er wollte mich zurückhaben. In gewisser Weise zählte das am meisten. Indem er mich aufgezogen hatte, war ich zu seinem Sohn geworden.
Ellie glaubte, ich würde über sie lachen, schnappte sich ihre Holzpantinen und rannte zur Tür. Ich holte sie ein, bevor sie ganz hinaus war. Sie schrie. Auf dem gegenüberliegenden Dach, nur eine Silhouette gegen den Mond, saß ein Vogel.
»Der Falke!«
Sie flüchtete sich in meine Arme. Ich versteifte mich, und meine Hand wanderte zu meinem Dolch, aber aus einem anderen Grund. In einer der Toreinfahrten auf der anderen Straßenseite sah ich den Schatten eines Mannes, ehe er in einer Gasse verschwand.
»Es ist ein Milan«, murmelte ich. »Kein Falke.«
Sie weigerte sich hinzusehen, damit sein böser Blick sie nicht treffen konnte. Der Milan, aufgeschreckt von ihrem Schrei, erhob sich flatternd und stürzte sich, fast lässig, mit dem geteilten Schwanz steuernd, auf eine Ratte, die aus einem Abfallhaufen hervorschoss. Ellie erschauerte und presste sich eng an mich, als der Milan sich so dicht vor uns erhob, dass wir seinen Luftzug spürten. Ich konnte die winzigen Blutflecke sehen, dort, wo seine Krallen die fiepende Ratte gepackt hielten. Die widerhallenden Schritte des Mannes, der die Gasse hinunterrannte, verklangen, bis es ganz still war. Ich schob Ellie ins Haus und schloss die Tür ab.
»Es war der Falke«, sagte sie und zitterte vor Entsetzen.
»Es war ein roter Milan. Der sich sein Abendessen geholt hat.«
»Und warum haltet Ihr dann den hier fest?«
Ich hielt immer noch den Dolch umklammert. Ich schob ihn in die Scheide, verriegelte die Tür, was ich normalerweise nicht tat, hob mein Bündel auf, das mir auf dem Boden als Kissen dienen würde, und befahl ihr, oben zu schlafen.
»Nicht allein«, sagte sie. »Bitte! Nicht allein.«
Ich seufzte und ließ mein Bündel wieder fallen. Sie flitzte die Stiege hinauf wie ein von einem Bogen abgeschossener Pfeil, und als ich in die Kammer mit den Dachschrägen kam, konnte ich von ihr nur die großen Augen sehen, die unter der Decke hervorlugten. Ihre Zähne hörten nicht auf zu klappern, bis sie die Wärme meines Körpers spürte. Sie flehte mich an, die Kerze nicht auszublasen. Ich tat es nicht, nicht einmal, als ich ihren regelmäßigen Atem spürte. Ich lag wach und beobachtete die Schatten. Jedes Mal, wenn ich einige Betrunkene auf der Straße hörte, versteifte ich mich. Ellies Furcht rief die Erinnerung
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