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Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)

Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)

Titel: Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
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hatte, war erloschen. Ich warf einen raschen Blick auf die Stelle des Teppichs, an der ich so oft gestanden hatte. Auf dem Schreibtisch lagen keine Papiere. Nur das Siegel, mit dem er so viele Befehle unterzeichnet hatte – wie den, mich als Baby in die Pestgrube werfen zu lassen –, lag auf der ledernen Schreibfläche.
    Anne zog mich weiter, einen Korridor entlang, in dem ich noch nie gewesen war, auf Lord Stonehouse’ Privatgemächer zu. Zwei Bedienstete traten vor, doch Anne drosselte kaum ihr Tempo, und ihr Tonfall und ihr Blick erstickten jeden Gedanken an Widerspruch.
    »Mr Cole schickt uns. Lord Stonehouse wünscht, seinen Enkel zu sehen.«
    Ehe die Diener mein zerknittertes Hemd, meine Kniehosen, die ich, wie ich plötzlich merkte, verkehrt zugeknöpft hatte, und die zerschlissene Jacke, die ich vom Boden aufgesammelt hatte, richtig wahrnahmen, waren wir schon im Schlafzimmer.
    Schlafzimmer?
    Es roch und klang wie in einer Kirche. Der penetrante Geruch von Weihrauch hing in der Luft, vermischt mit dem hartnäckigen Gestank von Urin und Verfall. Es war so dunkel, dass wir stehen blieben und uns dann mit ausgestreckten Händen weitertasteten. Das gewaltige Bett tauchte schemenhaft auf und erinnerte mich an eine Kanzel. Der Eindruck wurde noch verstärkt durch die wandschirmartigen Vorhänge, hinter denen sich die einzige Lichtquelle befand, und den psalmodierenden Priester.
    »… lass ihn all seine Fehler in seinem vergangenen Leben bereuen.«
    Das flackernde Licht der Kerzen tanzte auf Lord Stonehouse’ fahlem Gesicht, seine wachsgleichen Hände lagen gefaltet auf der Decke, als sei er bereits eine Statue. Anne starrte das Bild mit einer Mischung aus Unglauben und Entsetzen an, dann fiel sie auf die Knie und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
    »Gott vergib mir für das, was ich getan habe, Gott vergib mir!« wiederholte sie immer wieder.
    Als ich schemenhafte Bewegungen wahrnahm, die sich uns näherten, merkte ich zum ersten Mal, dass noch weitere Personen im Raum waren, aber ich konnte sie nicht erkennen.
    »… so es dein Wille ist, o Herr, kannst du ihn selbst jetzt noch sich erheben lassen«, fuhr der Priester fort.
    Anne zitterte derart vor Kummer, dass ich gleichfalls auf die Knie sank, um sie zu trösten. Erst jetzt, als sie nicht aufhörte, um Vergebung zu flehen und vor Furcht zitterte, erkannte ich die Wahrheit.
    »Hat er wirklich nach mir verlangt?«
    Der Priester drehte sich kurz um. Im Kerzenschein erkannte ich seine empörte Miene, ehe er fortfuhr. »Doch den äußeren Anzeichen nach scheint es, als rücke sein Dahinscheiden näher, und so flehen wir dich in dieser Stunde des Todes an, ihn vorzubereiten …«
    Ich schüttelte sie, dann presste ich meine Lippen an ihr Ohr und flüsterte: »Antworte mir! Hat er nach mir verlangt?«
    Sie hob den Kopf. Sie zitterte und ihr Gesicht war tränenüberströmt. »Nein«, stieß sie hervor. »Aber er hätte es tun können – er hat oft genug von Tom Neave gefaselt. Nach allem, was ich für ihn getan habe!«
    Aufgebracht zog der Priester die Vorhänge zurück, so dass Licht in den Raum fiel. Ich spürte eher, als dass ich es sah, wie die Menschen auf der anderen Seite des Raumes zu uns herüberstarrten. »Steh auf«, sagte ich zu Anne. Als sie nicht reagierte, zerrte ich sie hoch. Gehorsam, willenlos und mit gesenktem Haupt kam sie mit, als ich sie in die Dunkelheit der Halle zog und mir nichts sehnlicher wünschte, als davon verschluckt zu werden, nur fort von diesen anklagenden Blicken. Wir waren beinahe entkommen, der Schatten von Mr Cole wartete bereits, um uns hinauszubegleiten, als Anne unvermittelt stehen blieb und zurück in den Raum und auf die Menschen darin starrte. Ich zog sie einen Schritt weiter zur Tür, doch wie ein Pferd, das vor einer Hürde verweigert, ging sie keinen Schritt weiter. Die Knöchel, die den Türknauf umfassten, waren weiß wie blanke Knochen, ihre Miene unbeugsam.
    Inmitten der Gruppe von Menschen, die unseren Abgang beobachteten, gekleidet in einen grauen, seidenen Leibrock, ernst, aber wohlauf, mit einer Miene, die sowohl Tadel als auch Belustigung ausdrückte, stand Richard.

34. Kapitel
    Es dauerte nicht länger als eine Sekunde, aber die reglose Szene erinnerte an ein Tableau vivant und sah tatsächlich aus wie gemalt: der Priester, mit hervortretenden Augen und bis an den Rand des Schlaganfalls geröteten Wangen; Dr. Latchford, dessen Brille ihm von der Nase zu rutschen drohte; ein Mann mit einer

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