Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
nahm ihm den Siegelring ab, schloss mit zittrigen Händen die Vorhänge am Bett und bedeutete einem weiteren Diener, es ihm auf der anderen Seite gleichzutun. Selbst jetzt schien Lord Stonehouse keinen Frieden gefunden zu haben. Seine Unterlippe stand leicht vor, und die Stirn lag in Falten, als grüble er an seinem Schreibtisch über ein Papier nach. Wieder entdeckte ich nichts von der Grausamkeit, der Hinterhältigkeit und Heimlichtuerei in diesen besorgten Zügen. Alles, was ich sah, war die Bürde: die Wirren, durch die er einen festen Kurs gesteuert hatte, die Streitigkeiten, die Entscheidungen, die Schuldzuweisungen, die Zeit der Hoffnung, als seine Frau noch am Leben und seine Kinder jung waren, die Zeit der Verzweiflung im Krieg und während der Familienfehde. Als die Vorhänge sich schlossen und ihn in die andere Welt zu ziehen schienen, gingen die Zankereien in dieser Welt weiter. Ich ertrug es nicht länger, erklärte Anne, dass ich draußen auf sie warten würde, und eilte aus dem Raum.
»Tom!«
Mein Vater war der letzte Mensch, den ich sehen wollte. Ich wusste genau, was er sagen würde. Wie der Priester würde er glauben, dass mein Kummer vom Verlust des Vermögens herrührte, und würde mir irgendeinen erbärmlichen Trost anbieten, den ich nicht wollte. Ich beschleunigte meine Schritte, sprang beinahe den nächsten Absatz hinunter.
»Tom – ich muss mit Euch sprechen!«
Ich rannte die Galerie entlang auf das prachtvolle Treppenhaus zu, wollte nur noch fort von diesem erstickenden Ort. Doch mein Schritt stockte, als ich Lord Stonehouse’ Studierzimmer erreichte. Eine einzelne Kerze brannte auf seinem Schreibtisch. In ihrem Schein war ein Diener damit beschäftigt, die Fenster mit schwarzen Tüchern zu verhängen. Draußen von den Ställen her waren Rufe und Flüche zu hören.
»Öffnet das Tor für den Boten!«
Ein einzelner Reiter klapperte über das Pflaster. Am Morgen würde ganz London wissen, dass einer der höchsten Staatsbeamten, der dazu beigetragen hatte, dem Parlament zum Sieg zu verhelfen, das Zeitliche gesegnet hatte. Erst jetzt wurde mir die ungeheure Tragweite seines Todes klar. Angesichts dessen schrumpften unsere belanglosen Zankereien zur völligen Bedeutungslosigkeit. An der obersten Treppenstufe holte mein Vater mich ein und legte mir eine Hand auf den Arm. Ich riss mich los. Er packte mich und stieß mich gegen die Wand.
»Wer plant, den König zu töten?«
Die Frage war so unerwartet und so bizarr, dass ich zu lachen begann und erst aufhörte, als ich merkte, wie verzweifelt Richard, wie unähnlich ihm dieses Gebaren war und wie unbeherrscht er schien, während er mich flehend und drohend zugleich ansah. Immer noch nahm ich seine Frage nicht ernst, schüttelte verwundert den Kopf, stieg die Treppe hinunter, bis mich, als ein Diener die Tür öffnete, ein Gedanke innehalten ließ. Wie ein Tropfen Wasser, der in einem Tümpel Wellen schlug, spürte ich einen eiskalten Schauer durch meinen Leib laufen.
35. Kapitel
Es war Unsinn, natürlich, genau die Art von verschwörerischem Unsinn, wie er die Luft in diesem Haus verpestete. Gleichwohl blieb ich stocksteif stehen und spürte wieder die Stelle an der Wange, an die Bennet den Lauf seiner Waffe gepresst hatte.
»Hab sie beim Spionieren erwischt«, hatte er gesagt.
Das Bild von Bennet, der im Schein des Feuers seine Waffe mit der vorspringenden Feder und dem röhrenförmigen Visier polierte, entstand lebhaft vor meinen Augen. Apathisch folgte ich meinem Vater in den Empfangssaal, in den ich mich damals, genau wie Lord Stonehouse’ Worten nach auch heute in seine Gemächer, gemogelt hatte. Der Raum trug bereits Trauer. Er war spärlich beleuchtet, und die Satyrn, die den Nymphen an der ovalen Decke nachjagten, glichen blassen Geistern. Richard schloss die Tür.
»Ihr wisst etwas«, sagte er.
»Ich weiß nichts.«
»Ich sehe es Euch doch an! Tom, ich glaube, dass es schon bald geschehen wird. Erzählt mir, was Ihr wisst.«
Ich zögerte. Nehemia war ein Hitzkopf und Bennet ein Mörder, aber ich konnte nicht glauben, dass sie versuchen würden, den König zu meucheln, eine Tat, die das Land in einen noch verheerenderen Krieg treiben würde. Und wie sollten sie Gelegenheit dazu haben? Es war absurd. Sie wollten wildern, das war alles. Darum hatte Bennet so heftig reagiert, als wir zufällig auf sie gestoßen waren.
»Hat Cromwell etwas damit zu tun? Ireton?«
»Cromwell?« Ich lachte. »Das ist das Letzte, was er will.
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