Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
konnte. »Reiner Zufall. Der Brief und der Streit.«
»Glaubst du wirklich?«
»Nein.«
Unvermittelt überkam mich ein heftiges Beben. Das fette, verschmierte Gekritzel mit den wilden, schwertähnlichen Querstrichen über dem T erweckten in mir Erinnerungen an die Zeit, als er Männer angeheuert hatte, die mich umbringen sollten. Damals hatte ich jede Schenke überprüft, ehe ich eintrat, und war bei jedem Geräusch auf der Straße zusammengezuckt. Ich knüllte den Brief zusammen.
»Ich werde ihn verbrennen«, sagte ich.
»Nein«, sagte Anne. »Bring ihn Cromwell.«
7. Kapitel
Man hörte den Lärm in Whitehall, spürte die Anspannung in den Werkstätten und an den Verkaufsständen von Westminster Hall. Cromwell war wieder da. Gerüchte machten die Runde, dass er und der Anführer der Presbyterianer, Denzil Holles, handgemein geworden waren. Dass die Armee in Aufruhr war.
Eine Münze für den Sergeant verschaffte mir Zutritt zur Lobby. Ich wartete auf eine Gelegenheit, um Cromwell abzupassen, während der Brief meines Vaters ein Loch in meine Tasche zu brennen schien. Die Debatte wurde lauter. Ich hörte Cromwells Stimme, die sich über Hohnrufe erhob. Es gab keinen aufregenderen Ort als das House of Parliament, wenn man dazugehörte, und keinen schlimmeren und verwirrenderen, wenn man außen vor stand. Selbst die Laufburschen der Drucker erweckten meinen Neid. Protokolle waren verboten, doch sie schmuggelten die Reden nach draußen, so wie ich es vor Jahren getan hatte.
Als die Debatte vertagt wurde, sah ich einen Boten, eine unrechtmäßige Abschrift in die Kniehose gestopft, der sich seinen Weg durch die Menge streitender Abgeordneter bahnte. Er war genauso rotznäsig und aalglatt wie ich früher, aber eine Münze aus meiner Tasche hielt ihn auf. Ich entzifferte das Gekrakel des Schreibers. In der Debatte war es um die Petition der Armee gegangen, die ich in Nehemiahs Kammer gesehen hatte, um die Forderung nach Bezahlung und Straffreiheit. »H«, las ich. Das musste Holles sein. Ich konnte es nicht fassen, mit welchen Worten er zitiert wurde: »Die Soldaten, die diese Petition unterzeichnet haben, sind Feinde des Staates …«
Feinde des Staates? Die Armee, die den Krieg gewonnen hatte? Und lediglich darum bat, entlohnt zu werden?
Ein Schrei ertönte. Der Junge schnappte sich die Papiere und rannte los.
»Packt ihn!«
Der Abgeordnete, der den Laufburschen verfolgte, war jung und würde den Jungen einholen. Ich fühlte mich verantwortlich, weil ich ihn aufgehalten hatte. Und im Innersten war auch ich ein Laufbursche. Instinktiv streckte ich ein Bein aus. Der Abgeordnete fuchtelte wild mit den Armen und stürzte. Ich schaffte es gerade noch, ihn zu packen, um die Wucht des Sturzes abzufangen, und half ihm auf.
»Es tut mir schrecklich leid.«
Er starrte mich wütend an, doch mein Leibrock war, wenn auch alt, aus feinster Seide, und ich sprach in bester Stonehousemanier mit solcher Besorgnis, dass er davon absah, mich zu bezichtigen. Jemand anders zog ihn fort, sagte, dass sie einen Antrag formulieren müssten. Diese scharfe, essigsaure Stimme erkannte ich sogleich. Ich hatte Denzil Holles’ Taschenträger ein Bein gestellt.
Es war töricht, aber ich konnte nicht widerstehen. Ich sehnte mich danach, etwas zu unternehmen, und wenn ich nicht im House mit Holles streiten durfte, dann war das hier die zweitbeste Gelegenheit.
Ich verbeugte mich. »Lord Holles.«
Er sah durch mich hindurch und sagte zu seinem Taschenträger: »Stonehouse. Gehört zum selben Abschaum wie dieser Flugblattschreiber.«
Ich verbeugte mich erneut. »Derselbe Abschaum, Mylord, der den Krieg gewonnen hat und den Ihr jetzt einen Feind des Staates nennt.«
Er wirbelte herum. Er war etwa fünfzig Jahre alt, und sein Blick war ebenso scharf und ätzend wie seine Stimme. »Gehört Ihr zu den Männern hinter dieser erbärmlichen Petition?«
Ich wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als mir jemand auf die Schulter klopfte und ich Cromwell in die Augen starrte. Er schien einem niemals ins Angesicht zu blicken, sondern mit diesen eindringlichen Augen, deren Farbe irgendwo zwischen Grau und Grün lag, unmittelbar in die Seele. Sein Gesicht war fast von derselben Farbe wie seine lederne Uniform; er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich umzukleiden, bevor er ins House kam. Eine Warze über seiner linken Braue zuckte, als er mich niederstarrte.
»Macht es nicht noch schlimmer«, sagte er. »Wir verlieren die
Weitere Kostenlose Bücher