Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
demselben kalten, widerwilligen Blick wie das Fläschchen Stärkungstrunk, das den üblichen Wein auf seinem Schreibtisch ersetzt hatte.
»Seid Ihr zu Sinnen gekommen?«
Ich hatte das Gefühl, keine Sinne mehr zu haben, zu denen ich hätte kommen können. Sie waren zusammen mit Liz begraben worden. Ich wollte trauern, weinen, beten, aber ich konnte es nicht. Einmal, als ich hinauf in die Kammer gegangen war, in der ihr Kinderbettchen stand, und es geschaukelt hatte, sah ich, nur einen Augenblick lang, wie sie sich umdrehte. Es war so wirklich gewesen, dass ich unwillkürlich einen Finger ausgestreckt hatte, damit sie danach greifen konnte, ehe sie verschwand. Aber ich konnte nicht weinen. Seltsamerweise war es Anne, die, obgleich sie sich nie um Liz gekümmert zu haben schien, als sie noch lebte, jetzt weinte und trauerte. Doch wenigstens konnte ich jetzt Lord Stonehouse ebenso tot und kalt ansehen wie er mich.
»Ich werde die Aufgaben erfüllen, die Ihr von mir verlangt, Mylord.«
»Ach, tatsächlich? So, wie Ihr mit Sir Lewis Challoner in Essex Frieden gehalten habt? In der Nähe von Oxford wurde ein Geschütz gestohlen – von Presbyterianern? Unabhängigen? Ich weiß es nicht. Ihr werdet tun, was ich will? Ihr glaubt, Ihr könntet hier einfach so hereinmarschieren und Euren Sinneswandel kundtun? Ist Euch das Geld ausgegangen, oder fürchtet Ihr, unter Arrest gestellt zu werden?«
Er öffnete eine Schublade, die dritte von unten. Meine Schublade. Richards war die erste. Er zog ein Dokument mit dem Siegel der Stadt hervor, in dem ich einen Arrestbefehl erkannte.
»Was für ein Glück für Euch, dass der Richter ein Freund von mir ist. Nun, nicht unbedingt ein Freund … was wichtiger ist, er schuldet mir Geld.« Er tippte auf den Arrestbefehl. »Ihr habt einen Priester bedroht und ihn und seinen Ältesten aus seiner eigenen Kirche geworfen. Gibt es irgendeinen Grund, warum ich mich dafür einsetzen sollte, dass Ihr nicht verhaftet werdet?«
Als ich zum ersten Mal auf diesem Stück Teppich gestanden hatte, hatte ich voller Leidenschaft erklärt, dass es allen Grund dafür gäbe. Es war Mr Tooleys Kirche. Mehr als das, es war die Kirche des Volkes. Diese Gefühle waren immer noch da, nach dem, was mit Liz geschehen war, sogar noch stärker als zuvor, aber jetzt verlangten sie nach Taten statt nach Streiterei. Gleichgültig erwiderte ich: »Keinen, Mylord.«
Er wich meinem Blick nur selten aus, aber jetzt tat er es. »Wart Ihr vor zwei Tagen um die Mittagszeit in Cornhill?«
»Ja.«
»Dort ist ein Mord geschehen. Einer von Cromwells Soldaten wurde gemeuchelt. Wisst Ihr irgendetwas darüber?«
»Ich habe ihn nicht getötet.«
Seine Stimme kam als Kratzen aus der Kehle, schrill und hoch. »Ich sagte, wisst Ihr irgendetwas darüber?«
Stumm erwiderte ich seinen Blick. Richard. Mein Vater. Sein Sohn. Wusste er Bescheid? Oder ahnte er zumindest etwas? Wieder wandte er zuerst den Blick ab. Er streckte die Hand aus, dorthin, wo der Wein zu stehen pflegte, sah den Stärkungstrunk und hämmerte mit der Faust auf den Tisch. »Verdammtes Gesöff. Kein Wein. Ab-so-lut kein Wein. Verdammt sei Dr. Latchford. Verdammt seid Ihr. Verdammt sei …«
Die letzte Lieferung an die Hölle ließ er unvollendet, stützte den Kopf auf die geballten Fäuste, bis er wieder normal atmete. Er griff nach dem Arrestbefehl. Angriff auf einen Priester. Das war sicherer Boden.
»Am Tag nach der Beerdigung seid Ihr zurückgekehrt und habt den Priester … Burke … bedroht.«
»Ich habe dafür gesorgt, dass die Grabruhe meiner Tochter nicht gestört wird.«
»Ihr hättet beinahe Euer Schwert gezogen.«
»Das stimmt nicht. Es ist wahr, dass ich Burke angesehen habe und dass ich ihn getötet hätte, wenn er versucht hätte einzugreifen.« Ich berührte das Schwert an meiner Taille.
Lord Stonehouse begann zu husten, verzog das Gesicht und nahm einen Schluck von dem Stärkungstrunk. Er sah das Schwert an, dann mich, als wäre ihm erst jetzt aufgefallen, dass ich nicht wie ein Edelmann gekleidet war. Ich trug das Lederwams und die hohen Reitstiefel, die ich in den Schrank geschleudert hatte, als ich nach Hause gekommen war. Luke, der diese Kleider nie zuvor gesehen hatte, hatte mir ganz aufgeregt dabei geholfen, sie anzulegen, war herummarschiert und hatte mir den Gürtel umgelegt. Anne hatte versucht, ihn fortzuziehen, da er noch nicht einmal alt genug für Kniehosen war, aber ich hatte sie aufgehalten und ihm jedes einzelne Teil
Weitere Kostenlose Bücher