Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
er will.«
Ich wünschte, ich hätte es nicht so düster dargestellt. Jedermann war ernüchtert, ich selbst eingeschlossen. Meine Worte hatten zu deutlich gezeigt, wer wir waren: eine unbedeutende Gruppe, die Pferdefleisch mit Quellwasser herunterspülte, auf einem kleinen Fleckchen eines abgelegenen Berghangs. Wie sollten wir diese bedeutsamen Ereignisse beeinflussen können? Das war seit jeher, war heute und würde immer eine Angelegenheit für den König und das Parlament sein – nicht einmal für das Parlament, dachte ich verbittert, sondern für eine kleine Clique darin, die von einflussreichen Adligen kontrolliert wurde: Warwick, Bedford, Saye und Stonehouse.
Mauerschwalben stießen schrille Rufe aus und schossen auf der Suche nach Insekten flach über den Bach, ein Zeichen, dass es Abend wurde, obwohl es noch immer drückend heiß war. Unsere Kleider klebten uns am Leib, und der flirrende Dunst ließ die Ortschaft unter uns verschwimmen. Von den Pollen war Nehemiahs Augen gerötet. Wir waren so still, dass ein Kaninchen, nur wenige Schritte entfernt, uns starr fixierte. Scogman warf uns einen warnenden Blick zu. In welcher Situation auch immer, seine Gedanken entfernten sich nie weit von der Frage der Nahrungsbeschaffung. Für ihn zählten nicht die bedeutenden Ereignisse, sondern das nächste Abendessen. Vorsichtig schob er seine Hände über das Gras, um das Tier zu fangen. Nehemiahs Nase zuckte. Er versuchte, es zu unterdrücken, doch dann explodierte er in einem gewaltigen Nieser. Das Kaninchen schoss davon, seine weiße Blume verschwand im Hang. Scogman fluchte und sagte, wir könnten uns gefälligst unser Abendessen selber fangen.
»Was kann Cromwell tun?« Nehemiahs belegte, näselnde Stimme verwarf die Frage, kaum dass er sie ausgesprochen hatte.
»Uns eine Vollmacht erteilen. Uns anführen.«
»Vollmacht. Anführen. Das ist genau das, wovon wir loskommen wollen. Cromwell ist in der Hand des Adels. Er will selbst ein A… Adliger werden.«
»Das stimmt. Aber ich weiß, was Tom meint.«
George Joyce’ jugendliches Äußeres ließ ihn unschuldig wirken, doch dahinter verbarg sich ein scharfer, berechnender Geist. Tom – eine Beschwichtigung für mich, aber auch für Nehemiah, denn er beugte sich nicht meinem höheren Stand. Ein Anflug von Unmut und Neid erfasste mich. Er verlor nicht die Beherrschung. Mir fehlte seine Gabe, beiden Seiten zuzustimmen oder zumindest die Argumente beider Seiten zu teilen, um die Diskussion dann in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken. Er schaffte es, die Notwendigkeit eines Anführers zu leugnen und gleichzeitig zu einem zu werden. Und er besaß das soldatische Geschick, das Wesentliche zu erfassen, nämlich das, was die Menschen gerne tun würden, von dem zu trennen, was sie tun konnten.
Er hob einen Kieselstein auf und legte ihn auf die Steinplatte, von der wir aßen. »Wir sind hier.« Ein großer Stein wurde zu London, ein weiterer Kiesel in der Mitte der Platte zu Holdenby. »Wir sind sechzig, siebzig Meilen von Cromwell in London entfernt. Genauso weit ist es von hier nach Holdenby. Selbst wenn Cromwell zustimmt, dass wir mit unseren Soldaten eingreifen, müssten wir fast zweihundert Meilen in weniger als zwei Tagen reiten. Euer Pferd mag vielleicht Pegasus sein, meines ist es nicht.«
»Also gut. Ihr kriegt den König. Und dann?« Ich ergriff eine kleine Anzahl Kiesel. »Wie viele Männer seid ihr? Fünfhundert in der Nähe von Holdenby. Dazu Wills Männer – gibt es noch andere, die ihr mobilisieren könntet?«
»Tausend?«
Ich sammelte eine Handvoll Kiesel auf, dann noch eine, und schaufelte sie auf die Steinplatte, bis sie über den Rand ins Gras fielen. »Das hier sind siebzehntausend Mann der gegnerischen Armee. Eintausend gegen siebzehntausend.«
Nehemiah ergriff das Wort. »Die Regimenter lösen sich auf, die Männer werden zu uns kommen!«
»Die meisten werden auf Fairfax und Cromwell hören. Mein Vater wird euch den König mitnehmen lassen. Damit würdet ihr euch der Meuterei schuldig machen. Ihr werdet Holles, Cromwell, Fairfax und das Parlament gegen euch haben.«
»Was zum Teufel sollen wir denn dann tun?«, rief Joyce. »Sollen wir zulassen, dass die Presbyterianer ihn zu Poyntz bringen?«
»Zu Cromwell reiten.«
»Das ist unmöglich.«
»Nicht mit frischen Pferden.«
»Pferde sind wie Gold.«
»Ich kann sie beschaffen.«
»Wie?«
Ich streckte die Hand mit dem Siegelring an meinem Finger aus. Damit bekommst du alles, was
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