Fallen Angels 02 - Der Dämon
nie.
Nach dem Telefonat musste lsaac erst einmal eine Bushaltestelle mit Fahrplan finden. Als der passende zehnrädrige Koloss endlich angezockelt kam, stieg er ein und setzte sich neben das Notausstiegsfenster.
Im Vorbeifahren betrachtete er die Wohnungen, Geschäfte und Häuser und hätte am liebsten laut geschrien.
Er wollte raus aus den X-Ops, weil er sein Gewissen entdeckt hatte, und das bedeutete, dass er nicht einfach abhauen konnte, solange er Grier Childe eine derart hohe Summe schuldete. Klar, sie wirkte reich, aber fünfundzwanzig Riesen waren viel Geld, egal, wie dicke man es hatte. Selbst bei einem anonymen Kautionsagenten hätte er sich unwohl gefühlt. Aber diese elegante Frau, die er angelogen hatte? Und auf einen schmutzigen Botengang geschickt hatte?
Nein. Er würde sie auf keinen Fall hängenlassen.
Und das machte alles deutlich komplizierter.
Zwei Stunden, nachdem sie das Gefängnis ohne ihren Mandanten oder auch nur einen blassen Schimmer, wohin er verschwunden war, verlassen hatte, stand Grier mitten auf einer Party voller Menschen, die man wohl als ihresgleichen bezeichnen konnte. Ein jeder gehörte zum alten Bostoner Geldadel und konnte seinen Stammbaum bis zur Mayflower zurückverfolgen.
Nichts für ungut, aber einige dieser Blaublütigen waren alt genug, um selbst auf dem Schiff herübergekommen zu sein.
Aber in Gedanken war sie nicht bei diesem Ball im Saal des Four Seasons. Oder bei dem Mann vor ihr, der ihr etwas über ... Worum ging es bei dieser Veranstaltung noch einmal? Um das Museum ofFine Arts oder das Ballett?
Sie schielte nach den Plakaten, die überall aufgehängt worden waren. Drucke von Degas-Werken. Was auch nicht unbedingt weiterhalf: Diese ganzen verschwommenen Tutus hätten zu beidem gepasst.
Der Schlipsträger vor ihr plapperte weiter vor sich hin, aber sie hörte nicht zu. Im Geiste befand sie sich immer noch in diesem Flur im Gerichtsgebäude ... als sie sich umgedrehte hatte und feststellte, dass sie allein war.
Sie hatte noch nicht einmal gehört, dass lsaac sich bewegt, geschweige denn aus dem Staub gemacht hatte. Im einen Moment stand er hinter ihr, im nächsten war da nur noch Leere. Dass jemand von diesen Körperausmaßen sich einfach in Luft auflösen konnte, war schon verblüffend.
Natürlich brauchte man kein Genie zu sein, um sich zu denken, dass er über die Feuertreppe verschwunden war - also hatte sie die Metalltür aufgestoßen und war ihm nachgerannt, hatte die hohen Schuhe ausgezogen und war in Strümpfen die Stufen hinuntergelaufen. Vor der Tür hatte sie einen Mann gesehen, der sich gerade eine Zigarette anzündete. Als sie ihn fragte, ob ein großer Kerl an ihm vorbeigelaufen war, hatte er nur die Achseln gezuckt, eine milchig weiße Wolke in die Luft geblasen und war gegangen.
Also hatte sie ihre Stilettos wieder angezogen, war in die Tiefgarage gegangen, ins Auto gestiegen und noch einmal zur Wohnung ihres Mandanten gefahren. Es hatte kein Licht bei ihm gebrannt, aber das hatte sie auch nicht erwartet. Der letzte Ort, den jemand auf der Flucht aufsuchen würde, war die Adresse, die er bei der Polizei angegeben hatte.
Sie hatte gewusst, dass für ihren Mandanten ein hohes Fluchtrisiko bestand. Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass er wie der Qualm dieses Rauchers vor der Tür wäre - so schnell weg, wie er aufgetaucht war.
Grier schüttelte die Gedanken ab und stellte gerade ihren inzwischen warmen Chardonnay auf das Tablett eines vorbeilaufenden Kellners, als ihr Handy in der Handtasche vibrierte.
Sie entschuldigte sich und schlüpfte hinaus in den Flur. »Hallo?«
»Hallihallo. Wie geht's?«
»Ich warte mit angehaltenem Atem auf deinen Anruf, Louie.«
»Ooooh, das ist aber süß von dir. Du Gute.« Dann war Schluss mit Süßholz, und Louie ging zum Geschäftlichen über. »Dir wird nicht gefallen, was ich herausgefunden habe.«
Warum überrascht mich das nicht?, dachte sie. »Dann raus damit.«
»Er ist ein Geist.«
Das konnte sie nur zu gut unterschreiben. Wobei Geister auch ganz schön real sein konnten, wie sie ja wusste, seit sie sich mit ihrem toten Bruder unterhielt. »Für mich sah er ziemlich menschlich aus, als ich ihm gegenübersaß.«
»Tja, der lsaac Rothe, den ich ausfindig machen konnte, ist vor ungefähr fünf Jahren gestorben. Unten in Mississippi. Wurde tot in einem Graben auf einer Rinderfarm gefunden, damals neunzehn Jahre alt. Den Zeitungsartikeln zufolge war er bis zur Unkenntlichkeit verprügelt
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