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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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denn mein liebster Gott hat mich nun zum Himmel auserkoren.«
    Karel sang alle Stimmen gleichzeitig.
    Â»Du teurer Gottessohn«. Und zwischendurch auch Niederländisch. »Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast.«
    Â»Willst du nicht, dass er kommt? Der Doktor?«, frage ich Sigrid.
    Â»Dass er schnell kommt. Doktor Fokkemaat.« Sagte ich zu Karel.
    Zwei Tage später saß ich im Krankenhaus von Enschede auf einem Hocker neben Karels Bett. Ein ungeschickter junger Mann, der zum Arzt ausgebildet wurde, stach Karel eine Nadel in den Rücken, doch diese Nadel war schmutzig, und die Bakterien feierten fröhliche Urständ. Sie verbreiteten sich über Karels Rückenmark durch seinen Körper und seinen Kopf.
    Zwei Wochen lang fuhr ich zweimal täglich mit dem Bus von Delden nach Enschede. Natürlich sagte ich sämtliche Klavierstunden ab, Sigrid lieh mir Geld, um Essen zu kaufen. Die ganzen vierzehn Tage sang Karlchen ohne Unterlass, alle Stimmen, hoch, tief, mezzo, durcheinander. Die Schwestern und die anderen Patienten wurden verrückt davon, und darum legten sie ihn allein in eine Kammer am Ende eines Flurs. Wo er niemandem zur Last fiel. Wo ihn niemand hörte. Außer mir. Ich hörte ihn schon im Fahrstuhl.
    Â»Eine schöne Partie«, sage ich laut zu mir selbst. Auf dem Herz Ass liegt schon ein kleiner Stapel Karten. »Vielleicht werde ich ja noch fertig, bevor der Roomservice mit lauter Köstlichkeiten kommt.«
    Hinter meinem Rücken wirft Sigrid die Zeitschrift auf den Boden.
    Â»Kannst du nicht ein bisschen vorsichtig sein?«, frage ich. »Die möchte ich aufbewahren.«
    Sie hustet. Ich höre, wie ein Kissen aufgeschüttelt wird.
    Â»Ich wurde zurückgesetzt«, sagt Sigrid.
    Â»Natürlich«, murmele ich. Ich drehe wieder drei Karten in meiner Hand um. »Dein Glas steht im Bad. Willst du noch was trinken?«
    Â»Krüske«, sagt Sigrid. »Der neue Dirigent. Er hat mich im Orchester zurückgesetzt.«
    Sigrids Worte kriechen in meinen Kopf hinein und lassen dort ganz langsam Bilder entstehen: ein leeres Podium, ein Orchestergraben ohne Musiker, eine Geige ohne Bogen, meine Schwester mit wirrem Haar. Alles von gelben und roten Rosen umrahmt.
    Kreuz Zwei, Kreuz Drei, schwupp, wieder eine Reihe weg. Dann drehe ich mich um, meine Karten schlaff in der Hand. »Krüske? Zurückgesetzt? Sigrid, was meinst du?«
    Â»Ich bin meine Stimmführerstelle los.«
    Â»Deine Stimmführerstelle? Du, du?« Es fühlt sich an, als würden sehr spannende Dinge bevorstehen, aber ich habe keine Ahnung, welche. Irgendetwas steigt in meiner Kehle hoch.
    Â»Ja«, sagt Sigrid und wendet mir den Rücken zu.
    Ich schnaufe, als ob ich zwei Einkaufstaschen den Holterberg hinaufschleppen würde. »Wann ist das passiert?«, frage ich. Ich drehe drei Karten um, lege sie neben meinen Stapel. Ich muss mich auf das konzentrieren, was Sigrid sagt. Ich beiße mir in die Wange. Ich darf jetzt nicht lachen.
    Â»Anfang Juni, so um den 10. Juni herum.«
    Â»Und davon hast du mir nichts erzählt!«
    Â»Ich erzähle es doch jetzt.«
    Â»Sjors, was sagt Sjors dazu?«
    Â»Gott im Himmel, Tine. Was soll Sjors dazu sagen? Tut das was zur Sache?«
    Â»Ab wann?«
    Â»Von der neuen Spielzeit an«, sagt Sigrid. »Nach den Ferien muss ich bei den Tutti mitspielen. September. Ja, ja, so bald schon, ich muss wieder von ganz unten anfangen, nicht gerade ein Vergnügen.«
    Â»Genau wie dieser Diederick, von dem du erzählt hast!« Meine Stimme schießt in die Höhe. »Aber Sigrid, das ist alles andere als ein Vergnügen!« Vor meinen Augen erscheint eine Harke, in die ich mit meinem Schuh trete, ein Rock, der sich in der Kette meines Fahrrads verfängt, die Meissener Teekanne, die auf den Fliesen meiner Küche in tausend Scherben zerspringt.
    Â»Sage ich doch. Ich darf nur noch ergeben sein, nur noch Ohr, muss mich immer unter Kontrolle halten, bei keinem einzigen Strich darf ich etwas von mir selbst zum Ausdruck bringen. Ich habe nur der Melodie dienstbar zu sein, die die anderen Instrumente im Orchester spielen.«
    Sigrid erzählt, als ob sie einen Einkaufszettel herunterleiern würde. Dann holt sie aus und schlägt sich auf die Wange. Eine Mücke. Tot. Bei dem ganzen Regen hier kann man getrost von einer Mückenplage sprechen.
    Auf

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