Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
wirklich stirbst, und heile dich. Und dann kannst du die Stadt verlassen, zu deinem Stallburschen nach Marivale zurückreiten und mit ihm glücklich werden.«
»Was wird aus Fliss?«
»Während du deinen Tod vorspielst, reist sie mit Lady Arryl zu Schiff nach Glaeba. Im Tempel der Gezeiten wird sie in Sicherheit sein.«
»Und wenn ich von Eurem Plan nun nichts wissen will, Herr?«
»Dann töte ich dich auf der Stelle, Amaleta, und suche mir jemanden, der mir helfen will.«
Sie lächelte schwach. »Das ist ein sehr überzeugender Einwand, Fürst Cayal.«
»Du tust es also?«
Amaleta nickte. »Meine Mutter hat immer gesagt, ich sei eine gute Schauspielerin. Ich nehme an, jetzt werden wir sehen, wie gut ich bin.«
Amaleta zur Mithilfe zu bewegen war natürlich leicht. Sie hatte wahren Löwenmut und zudem großen Appetit darauf, weiterzuleben. Nun musste ich noch Fliss erzählen, was ich mit ihr vor hatte, und das war bei Weitem nicht so einfach.
Amaleta brachte sie am nächsten Tag in mein Zimmer, während Jaxyn unten sein Frühstück einnahm. Sie ließ uns allein und behielt die Treppe im Auge. Ich brauchte eigentlich keinen Wachposten. Jaxyns Gegenwart konnte ich bei Flut schon wahrnehmen, lange bevor er in Sicht kam – wenn ich aufmerksam war. Am Tag der Flussfähre war ich das nicht gewesen, deshalb hatte er es geschafft, mich zu überrumpeln. Aber so hatte Amaleta etwas zu tun, solange ich mit Fliss sprach.
»Was ist denn los, Cayal?«, fragte sie, sobald wir allein waren. Amaletas verstohlenes Vorgehen musste sie gewarnt haben, dass etwas nicht stimmte. Das ›Onkel‹ ließ sie schon seit ein paar Tagen weg, warum, weiß ich nicht.
»Ich muss dir erklären, was mit dir geschehen wird, Fliss.«
»Bin ich wieder in Schwierigkeiten? Ich habe nichts Schlimmes gemacht, Cayal, ich schwöre …«
»Nein, Fliss«, beschwichtigte ich sie hastig, hauptsächlich weil ich keine Lust hatte, mich mit einem völlig aufgewühlten Kind herumzuplagen. »Du bist gar nicht in Schwierigkeiten. Lady Arryl will dich auf eine Reise mitnehmen. Sie bringt dich nach Glaeba. Zum Tempel, wo sie die Ewige Flamme bewacht.«
Ich legte so viel Begeisterung in meine Stimme, wie ich nur konnte, und hoffte, dass es nach einem tollen Abenteuer klang, aber Fliss war nicht überzeugt. »Ich will bei dir bleiben.«
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Darum«, verkündete ich und dachte im Stillen, dass ich von Tag zu Tag mehr wie ein echter Elternteil klang.
»Warum?«
»Weil ich es sage.«
»Es geht um die Gezeiten, oder?« Fliss' große blaue Augen schwammen in unvergossenen Tränen. »Und wenn ich verspreche, sie nie wieder zu berühren? Könnte ich dann bei dir bleiben?«
Ihre Frage erstaunte mich. »Warum solltest du das wollen?«
Sie sah zur Seite, nagte an ihrer Unterlippe, und dann sah sie mich wieder mit diesen großen, tränengefüllten Augen an, und ich merkte, wie mich die Schuldgefühle bei lebendigem Leib zerfraßen, nur weil sie mich so ansah.
Ich hasse Kinder.
Und ich kann nicht mit ihnen umgehen. Wisst Ihr, Jaxyn hatte recht. Ich hätte sie im Palast töten sollen. Das hätte viele Leben verschont und mir eine Menge Qualen und Gewissensbisse erspart.
»Wenn du bei mir bleibst, töte ich dich, Fliss.«
Sie lächelte blass. »Mach nicht solche Scherze, Cayal.«
»Ich scherze nicht. Syrolee will deinen Tod. Sie alle wollen deinen Tod, auch Onkel Jaxyn. Arryl bringt dich in Sicherheit, und wenn du nicht mit ihr gehen willst, ist das in Ordnung. Ich will nur, dass du dir über die Alternative im Klaren bist.«
Als ich so weit war, weinte sie bitterlich, und ich fühlte mich wie ein richtiger Scheißkerl. Ich schätze, ich hätte es ihr wohl etwas sanfter beibringen sollen. Aber ich hatte es ja noch nicht einmal fertiggebracht, Medwen zu erzählen, was mit ihrem Kind geschehen war. Was hätte ich Fliss groß sagen können?
Sie umarmte mich, ihre dünnen Ärmchen packten mich ganz fest. »Ich liebe dich, Cayal.«
»Ich dich auch, Fliss.« Ich hätte ihr bereitwillig sonst was erzählt, wenn es sie nur aufmunterte. Ich sah nicht voraus, welchen Schaden das anrichtete. Ich glaubte fest daran, dass Arryl sie zum Tempel nach Glaeba bringen würde und dass die Nähe der Ewigen Flamme es ermöglichen würde, Fliss so viel beizubringen, dass die Gezeiten sie nicht umbrachten.
Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass sie es ernst meinte oder dass sie glaubte, dass ich ernst meinte, was ich da sagte. Erst als es
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