Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
Treffen sollte in Tenatien stattfinden, und Syrolee nahm ihre Gastgeberinnenrolle sehr ernst. Sie brachte uns in einer Villa am Rand von Libeth unter, die Stadt war zum Teil schon wieder aufgebaut. Es war ein prächtiges Anwesen, ein Relikt des vorigen Zeitalters, das man restauriert hatte bis es den Zustand, in dem es zu seinen Glanzzeiten gewesen war, nahezu wieder erreicht hatte. Es war einfach ein Haus, in dem wir wohnen konnten, solange die Verhandlungen im Gang waren. Crasii-Sklaven lasen uns jeden Wunsch von den Augen ab, das Essen war nur vom Feinsten, der Wein floss in Strömen, und es gab Unterhaltung aller Art.
Syrolee hatte einen guten Grund, dafür zu sorgen, dass wir auf längere Zeit angenehm untergebracht waren. Einen Unsterblichen zu finden, der nicht gefunden werden will und sich auch vor den anderen Unsterblichen versteckt, ist keine leichte Aufgabe. Wir waren unter den Ersten, die dort eintrafen. Cayal und Lukys waren schon da - ich glaube, sie waren gerade auf dem Rückweg von Jelidien, wo sie nach Kentravyon gesehen hatten, als sie Syrolees Einladung erhielten. Nicht lange, nachdem Brynden und ich angekommen waren, kam die Nachricht, dass Maralyce innerhalb eines Monats eintreffen würde. Von den geringeren Unsterblichen waren noch nicht alle erreicht worden.
Pellys hatte man jedoch ausfindig gemacht - in Senestra. Er hatte einen Narren an den Amphiden gefressen, von denen sich nach dem letzten Weltenende viele in den senestrischen Sümpfen angesiedelt hatten, also war er nicht allzu schwer zu finden. Brynden und Lukys erboten sich, nach Senestra zu fahren und ihn zu holen.
Ich blieb in Libeth. In der Villa. Mit Cayal.
Ihr könnt Euch denken, was passiert ist. Wir saßen monatelang zu zweit in dieser Villa fest. Die anderen Unsterblichen waren noch nicht angekommen. Cayal und Tryan hatten beide ihr Wort gegeben -wenn auch nur ungern —, dass sie sich bis zum Verhandlungsbeginn voneinander fernhalten würden, und in Tenatien bedeutete das, dass Cayal sich nicht weit von der Villa entfernen konnte ... schließlich war es Tryans Revier.
Wir hatten beide nicht geplant, wozu es schließlich kam. Es ist einfach passiert. Natürlich nicht sofort, aber Ihr wisst ja, wie es ist, wenn man mit jemandem irgendwo festsitzt und es gibt sonst nichts zu tun und nirgends sonst hinzugehen. Man unterhält sich, zuerst über ganz banale Dinge, und wenn die Nächte länger werden und das Wetter kälter wird, rückt man wegen der Wärme etwas zusammen, und plötzlich ertappt man sich dabei, wie man jemandem sein Herz ausschüttet, der an den richtigen Stellen nickt und mitfühlend lächelt. Und schon bald denkt man, das ist die eine Seele, die dich wirklich versteht. Euch beide hat das Schicksal zusammengeführt...
Man beginnt sich sogar zu fragen, ob das der Mann ist, mit dem man eigentlich zusammen sein sollte, und nicht etwa der, den man die letzten siebentausend Jahre geliebt hat.
Gezeiten, ich weiß wirklich nicht, was da in mich gefahren ist. In diesen langen, kalten Nächten habe ich Cayal Dinge gesagt, die ich Brynden nie erzählt habe. Wie ich schon erwähnte, ist mein Mann harsch und brüsk und nicht sonderlich einfühlsam, keiner, der die halbe Nacht wach bleibt, um deinem Gefasel zuzuhören, während du versuchst, ihm etwas darzulegen, das du noch nicht einmal selbst verstehst. Und es ging ja auch nicht nur von mir aus. Cayal ging es genauso - es war ein wechselseitiger Austausch dunkler Geheimnisse und verborgener Sehnsüchte. Er hat mir ein paar erstaunliche Geschichten aus seinem Leben erzählt, Dinge, die er getan hat, und eine Menge Dinge, die er wünschte, nicht getan zu haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nie einer anderen Seele von den Gedanken und' Gefühlen erzählt hat, die er mir in diesem Winter anvertraute. Und auch wenn es mir heute widerstrebt, das zuzugeben, damals hatte es eine kathartische Wirkung auf uns beide.
Es gibt Dinge, die man nur einem anderen Unsterblichen erzählen kann. Dinge, die nur ein anderer Unsterblicher versteht.
Und ich glaube, es war das erste Mal, dass Cayal offen zugab, dass er einen Weg suchte, um zu sterben.
Im Nachhinein betrachtet war es wohl das, was meine Entschlossenheit schwächte.
Gott, wir Frauen können ja so dumm sein. Um Cayal Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, muss ich sagen, ich glaube nicht, dass er mir von seinem Todeswunsch nur erzählte, um mein Mitgefühl zu erregen. Das hatte er schon damals nicht mehr nötig. Er will
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