Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
und ein bitter benötigtes Bad aufzutreiben, ihm noch einen kleinen Aufschub für sein nächstes Problem verschaffen: der Frage nämlich, wie er überhaupt Kontakt zu Ricard Li aufnehmen sollte.
Im Normalfall hätte er von Herino aus, noch bevor er überhaupt caelischen Boden betrat, durch die üblichen Kanäle einen Brief geschickt und ein solch heikles Treffen im Voraus anberaumt. Wenn der höchste Beamte des glaebischen Geheimdienstes unangekündigt in der caelischen Hauptstadt auftauchte, konnte er nicht erwarten, wie ein Ehrengast empfangen zu werden. Abgesehen von dem massiven Protokollverstoß würde es auch schwierig werden, zu erklären, wie er unentdeckt ins Land gekommen war.
Aber darum konnte er sich später kümmern. Zuerst musste er den Mann finden.
Declan verließ den Einsamen Wanderer und machte sich auf den Weg in die Stadt. Er verfluchte seine Dummheit, so lange in den Bergen geblieben zu sein. Er verfluchte Tilly, dass sie ihn Shalimar nachgeschickt hatte, verfluchte Shalimar, dass er überhaupt aus Lebec fortgegangen war ... Es war schon spät, die Lichter der Stadt standen hell vor dem dunklen Hintergrund des caelischen Hochlands. Er fröstelte ein wenig und schulterte im Gehen sein Bündel etwas höher. Der Wind war scharf in dieser Höhenlage und das Wetter in den Bergen unberechenbar.
Wie in den meisten Städten, die Declan besucht hatte, wohnten in den Außenbezirken von Cycrane ihre ärmsten und ausgegrenztesten Bewohner, in erster Linie die frei geborenen Crasii. Wie ihre Verwandten in Glaeba galten sie nicht als vollwertige Menschen und hatten auch kein Anrecht auf eine menschenwürdige Lebensweise. Die Straßen waren in miserablem Zustand und stanken erbärmlich. Da die Nasen des Adels nicht so weit reichten, war es offenbar egal, wie schlimm es hier roch.
Declan atmete beim Gehen durch den Mund und hoffte, dass es nicht mehr weit bis zu seiner Herberge war.
Zwar war er schon in Cycrane gewesen, aber die Anlage der Stadt war ihm nicht vertraut. Die Herberge, die er suchte, war außer dem Sitz des glaebischen Gesandten der einzige sichere Ort, den Glaeba in der caelischen Hauptstadt unterhielt, und wurde von einer Witwe namens Toshina Hanburn geführt. Die Witwe Hanburn hatte fast ihr ganzes Erwachsenenleben in Cycrane zugebracht, aber sie war eine loyale Glaebanerin und immer bereit, einem Landsmann den Schutz ihres Etablissements anzubieten, wenn er gelegentlich einen diskreten Ort brauchte, um seine Geschäfte abzuwickeln.
Nur noch ein paar Querstraßen weiter - auf dem Weg bekam er von mindestens drei menschlichen Huren eindeutige Angebote, und ein Bettler sprach ihn an -, und die Herberge kam in Sichtweite.
»Hey, Ihr da!«
Declan sah sich um und erblickte einen wieselhaften kleinen Mann im grauen Mantel, der ihm die Straße hinunterfolgte. »Was?«
»Wollt ihr Euch ein wenig amüsieren?«
»Nein.«
»Ich habe gerade eine rollige Felide da ... die beschert Euch eine Nacht, die Ihr so schnell nicht vergesst...«
Er blieb stehen und drehte sich zu dem Mann um. Der Zuhälter hielt das fälschlicherweise für Interesse und kam eilig näher. Declan packte ihn am Hemdkragen und schmetterte ihn gegen die geschlossenen Läden des nächstgelegenen Geschäfts. »Sehe ich aus wie ein Perverser, der es mit Tieren treibt?«
Wahrscheinlich schon, erwiderte eine leise Stimme in seinem Kopf und erinnerte ihn an Tenrys Kommentar über sein verkommenes Aussehen. Vielleicht hatte der Mann ihn deshalb angesprochen.
»Ahm ... jetzt, wo Ihr es sagt... nicht im Geringsten.«
Declan ließ den Mann los. »Verpiss dich.«
Das ließ sich der Zuhälter nicht zweimal sagen und verschwand. Declan seufzte erleichtert und ging weiter auf die Herberge zu. In ihren Fenstern glomm ein gelber Lichtschein und malte Muster auf den hölzernen Gehsteig. Wenn er noch Bestätigung dafür brauchte, dass der König und die Königin von Glaeba tot waren, dann bekam er sie, als er näher trat. Auf beiden Seiten der Eingangstür hingen schlechte Druckversionen ihrer offiziellen Porträts, eingefasst von schwarzen Trauerbanderolen.
Gezeiten, wie konnte das nur so schnell geschehen? War es wirklich ein Unfall?
Aber Declan hielt das für höchst unwahrscheinlich. Maralyce hatte ' ihn zum Abschied gewarnt, dass die anderen Unsterblichen vermutlich schon das Wetter kontrollieren konnten.
Er beschleunigte seine Schritte und bog in den engen Durchgangsweg neben der Schenke ein, um die Hintertür zu nehmen. Die Witwe
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