Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
Shalimar. »Du willst doch genauso wenig wie Declan, dass Tryan die Kleine in die Finger bekommt. Außerdem, wo wäre sie sicherer aufgehoben als bei dir? Niemand weiß, dass sie hier ist. Und selbst wenn sie es wüssten, kennt niemand den Weg zu dir. Und wenn der schlimmste Fall eintritt und sie tatsächlich hier heraufkommen, um nach ihr zu suchen, bist du die Einzige auf Amyrantha mit der Fähigkeit, einen anderen Gezeitenfürsten davon abzuhalten, sie mitzunehmen.«
»Gezeiten, ich hätte dich gleich nach der Geburt ersäufen sollen«, knurrte Maralyce, stapfte aus der Hütte und schmetterte mit solcher Wucht die Tür hinter sich zu, dass das Häuschen in seinen Grundfesten erbebte.
»Sie kommt schon damit zurande, lass ihr nur etwas Zeit«, sagte Shalimar mit einem Lächeln zu Declan. »Du siehst übrigens schlimm aus. Ist das dein Blut?«
Declan schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es ist Nyahs.«
»So heißt sie?«
»Sie ist eine echte Nervensäge.«
»Mit denen habe ich Übung. Ich habe schließlich dich aufgezogen, was?«
Declan gestattete sich ein erschöpftes Lächeln. »Denkst du, Maralyce wird mir für heute Nacht ihre Gastfreundschaft verweigern? Ich bin so müde, dass ich umfallen werde, wenn ich nicht bald etwas Schlaf bekomme.«
»Mach's dir gemütlich. Möchtest du etwas zu essen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin zu müde zum Essen. Zu müde zum Denken.«
»Dann schlaf eine Runde, mein Junge. Wir reden morgen weiter.«
Wie Shalimar vorausgesagt hatte, hatte sich Maralyce am nächsten Morgen offenbar damit abgefunden, einen weiteren Hausgast zu beherbergen. Nyah war wach und verlangte zu essen, was Declan für ein gutes Zeichen hielt, und Shalimar schien es unterhaltsam zu finden, außer Maralyce noch jemand anderen zur Gesellschaft zu haben.
Nachdem Declan der kleinen Prinzessin erklärt hatte, dass sein Großvater sie verstecken würde, bis er jemanden schicken konnte, um sie abzuholen, erklärte sie sich bereit, zu bleiben. Wahrscheinlich war sie so dankbar, nicht mehr auf der Flucht zu sein, dass ihr einerlei war, wo genau Declan sie ließ, solange sie nur keinen einzigen Schritt mehr tun musste. Sobald er geschlafen, gegessen und sich den Dreck von seinem übel zerschundenen Körper gewaschen hatte, fühlte er sich schon fast wieder ausgeruht genug, um seine Reise fortzusetzen.
Am späten Vormittag verabschiedete er sich von Shalimar und Nyah und ging den Bergpfad hinunter auf die drei Gräber zu. Maralyce begleitete ihn noch ein Stück. Sie redete kein Wort, bis sie endlich an der Stelle angekommen waren, wo Declan vor fast zwei Monaten an den Gräbern gestanden und sich gefragt hatte, ob Shalimar bereits tot war.
»Du weißt, dass du diesen Kampf nicht gewinnen kannst, nicht wahr?«, fragte Maralyce, als Declan stehen blieb, um sein frisch gepacktes Bündel zurechtzurücken.
»Aber wir müssen es versuchen.«
»Du versuchst, die Gezeiten aufzuhalten, Junge. Nicht einmal die Gezeitenfürsten können das.«
»Ich weiß.« Er drehte sich zu ihr um und sah sie an. »Aber das ist es nun mal, was es bedeutet, sterblich zu sein. Wir sind zur Hoffnung verdammt.«
Sie schenkte ihm eines ihrer seltenen Lächeln. »Dann hoffe ich, dass du jung und schnell stirbst, mein Junge. Das Alter ist bitter, so ganz ohne Illusionen.«
Er lächelte zurück. »Das ist wahrscheinlich das Netteste, was Ihr je zu mir gesagt habt.«
»Dass es dir bloß nicht zu Kopf steigt. Und wenn du nach Herino kommst, hab ein Auge auf Jaxyn. Er ist ein tückischer kleiner Bastard, und Diala ist auch nicht viel besser.«
»Ich bin doch immer vorsichtig.«
»Sicher ... und ich sterbe morgen.«
Und dann drehte sie sich ohne ein Abschiedswort um und ging wieder den Pfad hinauf.
DRITTER TEIL
Der Tag bricht an,
und immer mit dem Morgen
rollt die Flut heran.
Susan Coolidge (1835-1905)
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Selbst mit dem Pferd, das er in Clydens Gasthof requirierte und fast zuschanden ritt, dauerte es ganze zwei Wochen, bis Declan in Herino ankam.
Und er kam gerade rechtzeitig zur Anklageerhebung gegen Stellan Desean, den Fürsten von Lebec, der - wie er zu seiner Verblüffung auf seinem Ritt durch das Fürstentum Lebec erfahren hatte - beschuldigt wurde, den König und die Königin von Glaeba ermordet zu haben.
Er hatte vorgehabt, unterwegs in Lebec haltzumachen, um sich mit Tilly Ponting zu treffen und ihr alles zu erzählen, was er in den letzten Wochen in Erfahrung gebracht hatte.
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