Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
einer Karaffe auf dem flachen Emailletisch, der zwischen ihnen stand. »Ja, das ist mir nicht entgangen. Wird er einwilligen, sich wieder mit dir zu treffen, um die Chelae-Inseln zu besprechen? Was denkst du?«
Stellan nickte. »So stelle ich mir das vor. Die Begegnung war angenehm genug, dass es ihn nicht stören wird, mich wiederzusehen. Du bist enttäuscht, nicht wahr?«
»Ja, ein bisschen«, gab sie zu. »Obwohl ich gar nicht weiß, warum. Es ist ja schon fast ein Wunder, dass du nach dem wenig diplomatischen Ausfall deines Vorgängers überhaupt dazu gekommen bist, ihn zu treffen. Ich konnte eigentlich nicht annehmen, dass der Kaiser dich zum Tee lädt und ihr flugs bei eurem ersten Treffen eine zweihundert Jahre alte Streitfrage aus der Welt schafft.«
»Ja, die Mühlen der Diplomatie mahlen sehr, sehr langsam, fürchte ich.« Er musterte sie eine Weile aufmerksam. »Bist du hier so verzweifelt unglücklich, Arkady?«
»Ich bin nicht sicher, ob ich unglücklich bin«, antwortete sie mit einem Achselzucken. »Ich langweile mich, ich habe Heimweh, ich habe es satt, nur mit einem Laken über dem Kopf rausgehen zu dürfen, und ich bin sicher, dass mir nie wieder kühl genug sein wird, solange ich lebe, aber unglücklich? Nein, das bin ich wohl nicht.«
Stellan lächelte. »Ich bin froh, dass du dir deinen Humor bewahrt hast.«
»Bisher haben sie Gelächter noch nicht für gesetzwidrig erklärt, aber lass uns nicht zu laut darüber reden. Wir könnten belauscht werden.«
Stellan schüttelte mit einem wehmütigen Schmunzeln den Kopf. »Tja, so ungefähr ist es hier wohl, nicht wahr? Aber immerhin hast du Lady Chintara zur Gesellschaft. Sogar der Kaiser hat erwähnt, wie sehr seine Gemahlin deine Besuche genießt.«
»Besuche?«, wiederholte sie mit hochgezogenen Brauen. »Wohl eher kaiserlich angeordnete Auftritte. Ich frage mich oft, was sie wohl täte, wenn ich ihr eröffnen würde, dass ich schon andere Pläne habe -das frage ich mich jedes Mal, wenn sie zu mir sagt: >Ich sehe euch morgen?<, als ob ich dabei eine Wahl hätte.«
Stellans Lächeln verschwand. »Ich dachte, du magst sie?«
»Das tue ich«, versicherte sie ihm. »Sie ist nur ... ein bisschen ... gebieterisch ... manchmal.«
»Tja, gebieterisch oder nicht, sie findet offensichtlich das Gehör ihres Gatten. Ich hatte den Eindruck, dass mir die Audienz vom Kaiser nur gewährt wurde, weil Chintara es angeregt hat.«
»Hat er auch einen Namen?«
»Wer?« Stellan nahm einen Schluck Wein und stellte das Glas dann zurück auf den Tisch.
»Der Kaiser. So höre ich dich ihn immer nennen. Hat er keinen eigenen Namen, wie Henri oder Jorge oder sonstwie?«
»Natürlich hat er einen, aber nur der engsten Familie ist es erlaubt, ihn auszusprechen.«
»Und wie bleibt das Volk >auf dem Laufenden^«
»Was meinst du mit auf dem Laufenden?«
»Wer gerade regiert? Nummerieren die Torlener ihre Kaiser durch, damit sie wissen, von welchem sie gerade sprechen? Ich meine, wir haben Enteny den Vierten, und Mathu wird Mathu der Zweite sein, wenn er den Thron besteigt. Wie nennen sie ihre Herrscher hier? Kaiser Nummer Vierundsechzig?«
Stellan lächelte. »Warum fragst du nicht Lady Chintara?«
»Das könnte ich wohl tun. Wie ist er denn, dieser Kaiser Vierundsechzig?«
Stellan dachte eine Weile nach, bevor er antwortete. »Wenn ich ihn in drei Worten beschreiben müsste, würde ich sagen, er ist ein Junge, der noch grün hinter den Ohren ist.«
Diese Beschreibung erschreckte Arkady. So, wie Chintara von ihm sprach, war das Letzte, was sie sich vorgestellt hätte, ein unerfahrener Jüngling. »Grün hinter den Ohren? Bist du sicher, dass du mit dem richtigen Kaiser gesprochen hast?«
»Oh ja, es war schon der richtige. Aber er ist sehr jung. Vielleicht achtzehn, vielleicht neunzehn - sicher nicht älter als Mathu. Er hat noch picklige Haut. Er ist unentschlossen, unsicher und schien mir sehr nervös, obwohl das auch Jorgans Schuld sein kann. Nachdem unser letzter Gesandter die Geduld mit ihm verlor, hat der Junge wahrscheinlich Gründe, sich vor unberechenbaren Glaebanern zu fürchten.«
Arkady schüttelte den Kopf. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Chintara jemanden geheiratet hatte, der so unreif und schwankend war wie der junge Mann, den Stellan da beschrieb. »Das klingt irgendwie gar nicht nach dem Mann, den Chintara ihren Herrn und Meister nennt.«
»Chintara nennt ihren Gemahl Herrn und Meister?«
»Was ist dabei?«
Er lächelte. »Nennst
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