Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
wirklich.«
»Mir war auch nicht bewusst, dass Ihr so eine demütige Dienerin des Weges der Gezeiten seid, Euer Hoheit.«
»Das zeigt nur, wie wenig Ihr mich kennt, Arkady. Wollen wir erst ein Bad nehmen, bevor wir essen? Heute Morgen macht mich diese verdammte Hitze ganz verrückt.«
»Wie Ihr wünscht«, stimmte Arkady zu. Dabei kam ihr zu Bewusstsein, dass sie in ganz Torlenien niemanden getroffen hatte, dem die Hitze so wenig auszumachen schien wie Chintara. Arkady konnte sich des nagenden Gefühls nicht erwehren, gerade etwas Wesentliches wahrgenommen zu haben. Aber sie konnte beim besten Willen nicht den Finger darauflegen, was es war.
14
Das Amtszimmer, das dem Ersten Spion des Königs zugewiesen war, befand sich im Palast von Herino nur zwei Türen entfernt von dem des königlichen Sekretärs. Nicht viele Leute wussten das. Die meisten vermuteten sein Hauptquartier etliche Blocks entfernt hinter den bedrohlichen Mauern des Kerkers von Herino. Es war Lord Deryons Idee gewesen, dass Declan vom Palast aus arbeitete. Der Sekretär des Königs fand es zu umständlich, jedes Mal einen Boten zum Kerker schicken zu müssen, wenn etwas für den König zu tun war. Er fand es leichter und vor allen Dingen wesentlich diskreter, nur über den Flur gehen zu müssen.
Auch wenn es manchmal zu Behelligungen rührte, störte Declan das nicht wirklich. Er mochte es, wenn die Leute nicht immer wussten, wo er zu finden war. Es half, das Mysterium aufrechtzuerhalten. Seit er auf Geheiß der Drahtzieher der Bruderschaft des Tarot den undankbaren Posten des Ersten Spions übernommen hatte, war der bewusst erworbene Nimbus des Mysteriösen einer der wenigen Faktoren, die ihm an seiner Rolle als Meisterspion gefielen und fast ein wenig Spaß machten.
Als er die Tür seines Amtszimmers öffnete, schien es auf den ersten Blick verlassen. Der Raum war erhellt vom trüben Morgenlicht, das durch die Fenster hinter dem Schreibtisch fiel, und schien unverändert, seit er ihn am Vorabend verlassen hatte. Auch wenn er nur ein Viertel so groß war wie das Amtszimmer des Sekretärs, war sein Raum im selben Stil möbliert wie der Rest des Palastes: überladene vergoldete Möbel, unbezahlbare Kunstwerke an den Wänden und ein wundervoll geknüpfter tenatischer Teppich auf dem Boden. Declan blickte auf seinen Stuhl und lächelte. Er schien leer, doch wenn man wusste, wie man gucken musste, waren schwache Andeutungen einer Silhouette zu erkennen.
»Du hast mein Angebot, Erster Spion zu werden, doch ernst genommen, Ringel?«
Die schwache Kontur auf seinem Stuhl begann sich zu verändern. Die Farbe seines Lederbezugs nahm einen Silberton an. Binnen weniger Augenblicke war Tijis silberne Schuppenhaut in ihren normalen Erscheinungszustand übergegangen und sie wurde sichtbar, behaglich in seinen Stuhl gefläzt mit den Füßen auf dem Schreibtisch und keinem Faden am Leibe.
»Wie kommt es, dass du immer weißt, wo ich bin?«
»Weil ich schlauer bin als du«, versicherte er ihr. »Du hast es dir bequem gemacht, wie ich sehe.«
»Du hast einen sehr schönen Stuhl.«
»Ich werde dafür sorgen, dass der König erfährt, dass du seinen Geschmack billigst.«
»Du hast auch interessante Post bekommen.«
Declan schloss die Tür und überquerte den Teppich zum Schreibtisch. Er nahm den Brief, den Tiji offensichtlich in seiner Abwesenheit geöffnet hatte, und runzelte die Stirn. Das gebrochene Siegel war das von Lebec.
»Er ist von deiner Liebsten«, erklärte Tiji hilfsbereit.
»Erstens, die Fürstin von Lebec ist nicht meine Liebste. Zweitens, raus aus meinem Stuhl, und drittens, zieh dir was an. Du kannst hier im Palast nicht nur in Schuppen rumlaufen.«
Tiji grinste und tat wie geheißen, indem sie beiseitetrat, damit er sich hinter seinen Schreibtisch setzen konnte. Sie nahm ihre Tunika vom Boden - wo sie sie zweifellos hatte fallen lassen, als sie ihn den Flur entlangkommen hörte - und zog sie sich über den Kopf. Dann schob sie einen Stapel Anforderungsdokumente, die ihrer Unterzeichnung harrten, beiseite und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf die Tischkante.
»Willst du wissen, was drinsteht?«, fragte sie.
»Ich kann lesen, weißt du.«
»Ja, aber manchmal ist es besser, man lässt sich schlechte Nachrichten von jemandem erzählen, statt sie selbst zu lesen.«
Declan sah zu ihr auf und runzelte die Stirn. Er erwartete seit Wochen Nachricht von Arkady, konnte sich aber nicht vorstellen, welche Neuigkeiten dieser
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