Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
Geschichte kennt.«
»Du hast es ihm noch nicht erzählt?«
»Du hast mich gebeten, es nicht zu tun.«
»Mir was erzählt?«, fragte Declan und starrte die beiden wütend über den Tisch hinweg an.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss mich nicht vor so einem jungen Hitzkopf rechtfertigen, der zufällig auf mein Grubenfeld gestolpert ist. Du willst, dass er weiß, was geschehen ist? Dann sag es ihm eben.«
»Es wird besser klingen, wenn es von dir kommt.«
»Du bist der beste Geschichtenerzähler, den ich kenne, Shalimar.«
»Aber ich war nicht dabei«, erinnerte sie der alte Mann.
»Wo warst du nicht dabei?«, fragte Declan ungeduldig.
»Beim Tod des einen wahren Gottes von Amyrantha«, erwiderte Maralyce.
21
Es gab eine Zeit, in der wir die Unsterblichkeit für ein Geschenk hielten. Einige von uns tun das immer noch. Andere ... tja, manche von uns kommen einfach nicht klar mit >für immer<. Es macht sie verrückt.
Und einige macht es verrückter als andere.
Der Erste von uns, der komplett den Verstand verlor, war Kentravyon. Euer jämmerliches Tarot nennt ihn den Schlafenden, nicht? Gezeiten, ihr habt ja keine Ahnung, wie gut das auf ihn passt. Oder wie viel Arbeit es uns gekostet hat, ihn zum Schlafen zu bringen.
Aber ich sage dir so viel - wenn ein Gezeitenfürst sich restlos aus der Wirklichkeit ausklinkt, ist niemand mehr sicher, nicht mal die Unsterblichen selbst.
Mit Kentravyon fing es ganz harmlos an. Ich weiß nicht genau, wie er unsterblich wurde. Nicht alle von uns wurden von dieser kleinen Schlampe Diala gemacht, und nicht alle von uns halten es für wichtig, herumzuposaunen, woher wir kommen. Und das wann ist sowieso unwichtig. Zumindest jetzt. Unsterblich bedeutet unsterblich, Punkt.
Am Anfang schien er jedenfalls ein ganz netter Kerl zu sein, soweit ich mich erinnern kann. Ruhig. Er hatte irgendwie etwas von einem Gelehrten.
Natürlich war er von einfacher Herkunft, wie die meisten von uns, und sah ziemlich unspektakulär aus. Seine Züge waren zu grob, um schön zu wirken, aber hässlich war er auch nicht direkt. Unscheinbar, das beschreibt ihn wohl am besten. Er gab nie eine so umwerfende Figur ab wie Cayal, Jaxyn oderTryan, diese Schönlinge mit ihren vornehmen Manieren, die so unerschütterlich daran glauben, wie wichtig ihre Ansichten sind. Von diesen dreien fand ich Jaxyn immer am schlimmsten, aber der war auch schon ein arroganter Esel, bevor er unsterblich gemacht wurde. Tryan ist ein reizbarer Schwachkopf, der es nie geschafft hat, der Fuchtel seiner schrecklichen Mutter zu entkommen. Und Cayal... tja, am Anfang hatte er immerhin gute Absichten. Die hat er ab und zu auch jetzt noch, und genau das ist sein Problem. Wahrscheinlich mit ein Grund, warum er sterben will.
Aber ich schweife ab. Ich weiß, du hältst uns allesamt für bösartige Ungeheuer, und ich schätze, aus deiner Perspektive sind wir das wohl auch. Aber so einfach ist es nicht. Tatsächlich sind wir, solange wir einander nicht in die Haare geraten, sogar ein ziemlich friedfertiger Haufen.
Oh, ich weiß, da bist du anderer Meinung. Jetzt fängst du gleich an, mich daran zu erinnern, was passiert, sobald die Gezeiten umschlagen. Einer der Unsterblichen streckt dann immer eine gierige Hand nach der Weltherrschaft aus oder versucht zumindest, sich ein schönes Stück Welt unter den Nagel zu reißen. Aber so wird man eben, wenn man alles schon erlebt hat. Wenn du erst mal so lange gelebt hast wie wir, dann hast du einfach nicht mehr die Energie, tatenlos zuzusehen, wie irgend so ein machthungriger, ehrgeiziger, größenwahnsinniger Idiot die Hand nach der Macht ausstreckt, in der fehlgeleiteten Annahme, dass nur er allein eine bessere Welt errichten kann.
Manchmal ist es einfach schneller, einfacher und macht weniger Ärger, wenn man das selbst übernimmt.
Aber Kentravyon ... er ist dabei ein wenig zu weit gegangen. So weit, dass wir anderen seinem Treiben ein Ende machen mussten. Zumindest so langfristig, wie das bei einem Gezeitenfürsten möglich ist.
Wie üblich begann der ganze Ärger, als die Gezeiten wechselten.
Während der kosmischen Ebbe haben wir uns nicht immer versteckt. Es gab Zeiten, da gaben wir sogar an mit unserer Unsterblichkeit. Natürlich brachte es nichts, zu viele Wunder zu vollbringen - das sollte Kentravyon später am eigenen Leib erfahren. Selbst dann nicht, wenn die Gezeiten hoch standen. Denn dann gewöhnen sich die Menschen daran und erwarten sonst was von einem, und wenn die
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