Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
hingehen, Tiji. Ich und Tenika gehen das Tonikum verteilen. Du musst hierbleiben. Du bist gegen das Sumpffieber nicht immun.«
»Aber wenn ich mich jetzt anstecke, hast du doch das Tonikum …«
»Wir wissen nicht, wie zuverlässig es wirkt.«
»Das Risiko gehe ich ein.«
»Ich nicht«, sagte Azquil und blickte sie so eindringlich an, dass ihre Haut zu flimmern begann. Er sah sie oft so an, und in der Beengtheit der kleinen Hütte fand sie das ganz schön heikel. Sie war sich seiner Nähe extrem bewusst, und sie merkte deutlich, dass es ihm umgekehrt genauso ging. Auch seine Haut flimmerte, wann immer sie sich zufällig berührten, sei es in der Hütte oder bei einem Gang durchs Dorf. Wenn sie auf dem Weg anhielten, stand Azquil wie zufällig immer dicht an etwas Leuchtendem, Hellem – einer Blume oder einem prächtig gefiederten Vogel –, als wollte er durch die Reflexion seiner silbernen Haut selbst leuchtender und heller erscheinen.
Tiji wusste so gut wie nichts über die Liebesspiele und Paarungsrituale ihrer Spezies, aber sie brauchte keinen Vortrag über Vögel, Bienen und Eidechsen, um zu merken, wann ein Chamälide sie anbaggerte. Die Vorstellung erregte und erschreckte sie gleichermaßen. Bisher war das einzige männliche Exemplar irgendeiner Spezies, zu dem sie eine gewisse Zuneigung empfunden hatte, Declan Hawkes gewesen. Doch ihre Gefühle für Azquil waren ganz anderer Natur als die Empfindungen, die sie für ihren menschlichen Lehrmeister gehabt hatte. Dies hier fühlte sich urtümlicher an. Erregend. Und richtig.
»Du brauchst mich nicht ständig so zu behüten, Azquil«, sagte sie.
»Doch«, sagte er. »Das ist meine Aufgabe. Und selbst wenn nicht. Ich will es so.« Er zögerte. Das Schweigen lud sich rasch mit einer unausgesprochenen nervösen Spannung auf, dann lächelte er plötzlich. »Bist du schon einmal in einer heißen Quelle geschwommen?«
Tiji sah ihn schräg an und wunderte sich über den abrupten Themenwechsel. »Nein.«
»Hast du Lust? Es gibt hier eine ganz in der Nähe. Morgen breche ich mit dem Tonikum zum Außenposten auf. Heute Abend ist also unsere letzte Gelegenheit, noch ein bisschen Spaß zu haben.«
Tiji fehlte der Mut, Azquil zu fragen, was genau er unter ein bisschen Spaß verstand, aber die Aussicht darauf, den Abend in seiner Gesellschaft zu verbringen, war ausgesprochen angenehm.
»Gern.«
»Gut! Ich kann dir zeigen, wie man Genoamotten fängt.«
»Was sind denn Genoamotten?«
»Der am besten schmeckende Leckerbissen auf ganz Amyrantha.«
»Ihr esst sie?«
Er nickte. »Selbstverständlich essen wir sie. Was hast du denn gedacht? Dass wir ihnen Gedichte vortragen?«
»Wie werden sie zubereitet?«
»Na … gar nicht«, sagte er und sah sie verdutzt an. »Deswegen schmecken sie ja so gut. Und ich schwöre dir, das Gefühl, wie die Mottenflügel in deinem Mund flattern, kurz bevor du hineinbeißt, ist unvergleichlich.« Er seufzte vor Genuss beim bloßen Gedanken daran und sah sie erstaunt an, als sie seine Begeisterung nicht teilte. »Erzähl mir doch nicht, dass du noch nie eine Genoamotte gegessen hast?«
»Ich habe überhaupt noch nie Motten gegessen«, sagte sie. »Oder sonst irgendwelche Insekten, wenn ich es recht bedenke. Meinst du das im Ernst? Man isst sie roh?«
Azquil schüttelte traurig den Kopf. »Ach, Tiji, was haben sie dir nur angetan? Wie kannst du bis jetzt noch kein Insekt gegessen haben? Das ist hier die Hauptattraktion auf unserem Speiseplan.«
»Ich dachte, ihr kocht Eintöpfe mit Fleisch.«
»Nun … geschmorte Insekten … ja. Was hast du denn gedacht, was es ist? Hühnchen?«
»Es schmeckte wie Hühnchen.«
»Wir haben schon alle Arten von sechsbeinigem Getier gegessen, seit du angekommen bist«, teilte er ihr mit. »Bei den Gezeiten! Was isst du denn sonst so?«
»Nun ja … also, Fleisch …«
Er zog ein Gesicht. »Du meinst, totes Fleisch von Tieren macht dir nichts aus, aber lebende Insekten machen dir Sorgen? Gezeiten, wenn sie noch am Leben sind, weißt du wenigstens, dass sie frisch sind. Wer weiß, wie lange ein Rind schon tot ist, bevor ein Mensch es isst? Wir sind keine Aasfresser, Tiji.«
Sie sah ihn zweifelnd an. »Aber du liegst doch nicht auf Felsen auf der Lauer und fängst sie mit der Zunge, oder?«
Er lachte und bot ihr seine Hand an. »Natürlich nicht. Wir fangen sie in Fallen, genau wie Menschen Kaninchen fangen. Komm schon!«
»Wenn Menschen Kaninchen fangen, beißen sie ihnen nicht den Kopf ab und
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