Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
»Mehr als du glaubst. Komm mit.«
Cayal war immer noch nicht klüger als bei seinem Eintreffen, aber er tat Lukys den Gefallen und folgte ihm durch die große Haupthalle, dann einen vereisten Korridor entlang und eine aus dem Eis gehauene Treppe hoch, die zu einer schmalen Zinne führte.
»Ich hätte nie gedacht, bei dir Crasii-Sklaven zu sehen«, sagte Cayal beim Hinaufgehen.
»Mir gefällt es nicht, wie sie erschaffen wurden, Cayal«, sagte Lukys und warf ihm über die Schulter einen kurzen Blick zu. »Es gibt andere, weniger traumatische Möglichkeiten, Leben nach Wunsch zu formen“ ohne die ganzen Schwierigkeiten, die bei der Erschaffung der Crasii entstehen. Man muss nur wesentlich mehr Geduld aufbringen als Elyssa. Aber das bedeutet nicht, dass ich für die Crasii keine Verwendung habe.«
Sie erreichten die Zinne und traten hinaus. Vor ihnen lag die gesamte Pracht der eisigen Aussicht. Von hier war es leichter, sich eine Vorstellung vom Maßstab der ganzen Anlage zu verschaffen. Sie war gigantisch. Viel größer als nötig für einen Mann und seine eben hergeholte sterbliche junge Gemahlin. »Und wozu ist Oritha hier?«
»Meine Frau?« Lukys sah aus, als überraschte es ihn, dass Cayal ihre Rolle hinterfragte. »Zufällig mag ich sie, Cayal. An ihrer Anwesenheit hier ist nichts Unheilvolles.«
»Sie glaubt, dein Name sei Ryda Tarek.«
»In der geheimen Bruderschaft ist das mein Name.«
Cayal starrte ihn an, dann schüttelte er den Kopf und lächelte dünn. »Du hast doch wohl nicht …«
Lukys lachte. »Oh doch. Und ob.«
»Du bist der Geheimen Bruderschaft des Tarot beigetreten?«
»Ich bin nicht einfach nur beigetreten, Cayal. Ich bin Mitglied des Fünferrats der Weisen.«
»Du bist ja völlig skrupellos.«
»Unbeschreiblich geduldig trifft es eher. Gezeiten, diese Truppe ist der nervtötendste Haufen von Möchtegern-Gutmenschen, mit dem ich es je zu tun bekommen habe. Vermutlich, weil die Bruderschaft zurzeit ihren Hauptsitz in Glaeba hat. Der ständige Regen schadet einfach ihrem Verstand, da bin ich mir sicher.« Er lächelte noch breiter, lehnte sich gegen die eisige Brüstung und genoss die Aussicht. »Kannst du dir vorstellen, dass Jaxyn und Diala sich direkt vor ihrer Nase breitgemacht haben, und sie haben es nicht einmal bemerkt? Auch wenn sie dich ziemlich schnell festgenagelt und durchschaut haben. Aber das mag auch daran liegen, dass du ihnen … nun ja … zu viel erzählt hast …«
»Du meinst, sie wissen gar nicht, wer du bist?«
»Natürlich nicht. Du weißt doch, wie das läuft.«
Cayal wusste es. Er und Lukys hatten schon früher einmal einen großen Auftritt gehabt, als sie die Heiligen Krieger unterwanderten und im Grunde genau das Gleiche taten, was Lukys jetzt mit der Geheimen Bruderschaft des Tarot machte.
»Aber genug von meinen Heldentaten. Erzähl, hast du mit Brynden gesprochen?« Lukys stemmte sich mutwillig gegen den Wind, als wollte er ihn verleiten, ihn vom Turm zu blasen.
Cayal nickte. »Er war nicht interessiert.«
»Ich hatte dich ja gewarnt, oder nicht?«
Er zuckte die Achseln. »Es war einen Versuch wert. Wo ist Kentravyon?«
»Ich glaube, er ist zum Eisangeln gegangen.« Lukys schwankte ein wenig in dem Wind, der die beiden umtoste. Cayal starrte ihn an, sagte aber nichts, sondern konzentrierte sich darauf, sein Gleichgewicht zu halten. Hier oben war der Wind viel stärker und so schneidend kalt, dass selbst Cayal und Lukys mit ihrer Unempfindlichkeit Unsterblicher ihn deutlich spürten. Natürlich hätte jeder von ihnen den Wind abflauen lassen können, aber Lukys pfuschte selten ohne triftigen Grund mit dem Wetter herum, und die bloße Vorsorge dagegen, mehrere hundert Fuß in die Tiefe zu stürzen, war offenbar kein triftiger Grund.
»Das ist mein voller Ernst«, sagte Lukys, als er Cayals skeptischen Blick bemerkte. »Seit er ins Leben zurückgekehrt ist, scheinen die einfachen Freuden unserem Wahnsinnigen beinahe genauso viel Vergnügen zu machen wie der Massenmord an unschuldigen Sterblichen.«
»Warum hast du ihn aufgeweckt?«
»Wir brauchen ihn«, sagte Lukys. »Oder besser gesagt, du brauchst ihn.«
»Das hast du in Torlenien aber nicht erwähnt.«
»Ich hatte Zeit, meine Berechnungen zu überarbeiten«, sagte Lukys. »Dieses Unterfangen braucht viel mehr Kraft, als ich ursprünglich angenommen habe. Nebenbei bemerkt sind wir deswegen auch an diesem Ort. Wir müssen es dicht an einem der magnetischen Pole tun.«
»Warum hier? Warum
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