Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
ungefährlich, aber er konnte die ganze Macht der Gezeiten lenken, genau wie Kentravyon. Cayal war bisher davon ausgegangen, dass Lukys diesen Wahnsinnigen ebenfalls zu diesem Zweck ins Leben zurückgeholt hatte.
Taryx’ Anwesenheit hier sprach jedoch dafür, dass noch andere Pläne im Gange waren. Lukys brauchte Taryx nicht, um die Gezeiten zu beherrschen. Er konnte nicht viel mehr, als Wasser zu gefrieren oder zu verdampfen. Lukys brauchte ihn auch nicht, um ihn einen Eispalast bauen zu lassen. Dazu war er durchaus selbst in der Lage. Nein, Lukys spielte wieder einmal seine eigenen Spielchen, und Cayal konnte überhaupt nicht wissen, ob das vordringliche Anliegen des Gezeitenfürsten, wirklich darin bestand, ihm beim Sterben zu helfen.
Taryx zuckte die Achseln, machte sich auf, dem Schlitten zu folgen, und sagte im Losgehen: »Warum fragst du nicht Lukys?«
Cayal stapfte hinter Taryx her, verärgert über sein Ausweichmanöver. »Mach ich.«
»Dann ist ja alles in Ordnung.«
Cayal holte ihn ein und ging neben ihm her. »Wie hast du Lukys überhaupt aufgestöbert? Ist schließlich eine ziemlich große Welt. Seltsam, dass du einfach so über ihn gestolpert bist.«
»Ich habe ihn nicht aufgestöbert, sondern er mich«, sagte Taryx.
Cayal nahm diese Neuigkeit wortlos auf. Lukys hatte also auch ihn ausgesucht.
»Um ehrlich zu sein, ich dachte, er hat den Verstand verloren, als er mich bat, hierherzukommen und ihm beim Bau eines Palastes aus Eis zu helfen.«
»Immerhin bist du gekommen.«
Taryx zuckte wieder die Achseln. »Hatte gerade nichts Besseres vor. Und mit der zurückkehrenden Flut beginnen bald auch wieder Spiel und Spaß. Elyssa ist ein Miststück, Tryan ist ein Tier, Jaxyn kann man nicht trauen, Maralyce ist eine Schlaftablette, Brynden ist ein selbstgerechter Heuchler, Pellys ist ein Idiot, Kentravyon ist irre, und du gehst einem auf den Geist. Da bleibt dieses Mal nur Lukys übrig, wenn ich mir ein sicheres Plätzchen suche, um es auszusitzen.«
»Lukys war noch nie bekannt dafür, sich Lakaien zu halten.«
Taryx deutete mit einem Kopfnicken in Orithas Richtung. »Er war auch nie bekannt dafür, sich eine junge Frau zu nehmen und ihr mitten im Nichts einen Eispalast hinzustellen. Aber hier ist sie nun. Und wir auch.« Er sah Cayal geringschätzig an und fügte hinzu: »Und wen nennst du hier eigentlich Lakai? Wenigstens kenne ich die Grenzen meiner Fähigkeiten. Ich kann euch Gezeitenfürsten nicht das Wasser reichen, und ich bin schlau genug, es auch gar nicht erst zu versuchen. Aber du? Du bist mächtig genug, jeden von ihnen herauszufordern, und trotzdem bist du hier und stolperst genau wie ich durch den Schnee, nur um nach Lukys’ Pfeife zu tanzen.«
Darauf gab es nicht viel zu erwidern, also schwieg Cayal. Es war besser, zu warten und Lukys selbst zu fragen. Aber Cayal hegte zunehmend den Verdacht, dass sein lange ersehnter Tod nur als vorteilhafte Nebenwirkung von Lukys' eigentlichem Plan gedacht war und es in der Hauptsache um etwas ganz anderes ging. Nur – um was?
Lukys begrüßte zuerst Oritha, küsste sie zärtlich und trug dann einem seiner Bediensteten auf, sie zu ihren Gemächern zu geleiten. Wirklich verblüffend war, dass sein Personal aus Crasii bestand. Cayal zählte vierzig ausgewachsene Caniden. Lukys war von den Crasii noch nie sehr angetan gewesen. Cayal fiel kein triftiger Grund ein, warum er sie ausgerechnet jetzt hier um sich haben sollte.
Ein Schwall warmer Luft empfing sie alle, wobei warm ein äußerst relativer Begriff war. Es war nicht wirklich warm, die Temperatur innerhalb des Palastes war lediglich etwas über der außerhalb, der Einfluss des eisigen Windes durch die massiven Eiswände leicht gemildert.
Lukys sah überrascht aus, Pellys zu sehen, aber er begrüßte den Gezeitenfürsten freundlich und bat Taryx, ihn zu seiner Gästesuite zu begleiten. Taryx fügte sich klaglos. Pellys selbst war viel zu fasziniert von dem sagenhaften Kristallpalast, um zu merken, dass er abgewimmelt wurde. Als sie gingen, drehte sich Pellys’ Kopf ununterbrochen von einer Seite zur anderen vor Staunen über die gewaltigen Eiswände.
Cayal wandte sich seinem Gastgeber zu. »Du hast hier Gäste-Suiten?«
Lukys nickte. »Selbstverständlich. Man weiß ja nie, wer plötzlich hereinschneit.«
Cayals Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Aber natürlich. Hier am Ende der Welt befinden wir uns ja an einem Knotenpunkt der Zivilisation, nicht wahr?«
Lukys lächelte.
Weitere Kostenlose Bücher