Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
wird unsterblich.«
»Nein, ich meine, was geschieht mit der sterblichen Frau? Mit der Person, die jetzt den Namen Oritha trägt. Was wird aus ihrer Persönlichkeit, was ist mit ihren Erinnerungen, ihrer Seele, wenn du so willst? Wird sie einfach ausgelöscht? Oder bleibt sie im Körper und versucht immer wieder, ihren Platz zurückzuerobern?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Ich hätte darauf gerne eine Antwort, bevor ich mich auf eure Sache einlasse, Cayal.«
»Ich kann dir darauf keine Antwort geben, Lyssa. Da musst du schon Lukys fragen.«
»Und was hast du mir zu bieten?«, fragte sie, ganz die Pragmatikerin. »Ich finde, ich verdiene eine kleine Gegenleistung. Du möchtest doch unbedingt, dass ich den Schlüssel zur unbegrenzten Macht herausrücke.«
»Der Kristall des Chaos ist nicht der ›Schlüssel zur unbegrenzten Macht‹«, knurrte er etwas bissig.
»Ach so? Lukys will ihn nur, weil er so schön glänzt?«
»Er bündelt Gezeitenenergie, Lyssa. Er verfugt von sich aus über keine Macht, weder in noch an sich.«
»Tatsächlich? Und wann wurdest du zum Fachmann des Tumultsteins? Du weißt doch nicht mal, wie er aussieht.«
»Und du auch nicht, wenn du zur Abwechslung mal ehrlich bist«, gab er zurück und verschränkte ungeduldig die Arme. »Laut Auskunft meiner Spione verfugst du über ein zerfleddertes Tarotdeck, eine Landkarte, die du nicht lesen kannst, eine vage Vorstellung davon, wo der Kristall versteckt sein könnte, und sonst nichts.«
»Das ist mehr, als du hast, Cayal.«
Wohl wahr. Er seufzte, der Wortgefechte überdrüssig, die sie kein Stück weiterbrachten. »Was willst du, Lyssa? Raus damit.«
»Ich will dich.«
»Sag was anderes.«
Sie lächelte wieder, aber nicht freundlich. »Wie sehr sehnst du dich nach dem Tod, Cayal?«
So sehr nun auch wieder nicht , war seit jeher immer Cayals spontane Antwort auf diese Frage gewesen. Aber nun war die Gelegenheit, den Kristall des Chaos zu finden, zum Greifen nahe und brachte seine Entschiedenheit ins Wanken. Was macht es schon, dass sie gefährlich, grausam , rachsüchtig, psychotisch und zu allem Überfluss, nun ja … abstoßend ist? Wenn alles darauf hinausläuft dass ich rechtzeitig zum Höchststand der Gezeiten tot bin – was kümmert mich das dann noch?
»Bringst du immer noch deine sterblichen Liebhaber um, wenn dir ihre Schreie auf die Nerven gehen?«
»Und wenn? Dich kann ich ja wohl kaum töten, also hast du nichts zu befürchten, Cayal.«
Cayal lächelte. Er war Zyniker genug, um sich über ihre Antwort zu amüsieren. »Für sonderlich viel Romantik ist in deiner Seele wohl kein Platz, was, Elyssa?«
»Das ist meine Bedingung, Cayal.« Das Glitzern in ihren Augen zeigte ihm deutlich: Sie wusste, dass sie am längeren Hebel saß. »Du möchtest wissen, wo sich der Kristall des Chaos befindet. Ich bin die erste Adresse für diese Information.«
»Also schön.«
»Ich bin nicht an einer Einmal-und-nie-wieder-Affäre interessiert«, hakte sie nach, offensichtlich misstraute sie seiner schnellen Kapitulation. »Ich will etwas Dauerhaftes.«
»Ich habe vor zu sterben, Elyssa, sobald es nur irgend geht. Wie dauerhaft kann ein Versprechen, das ich dir gebe, da wohl sein?«
»Bis dass der Tod uns scheidet?«, suggerierte sie mit einem verschlagenen Lächeln, das Cayal das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Ja, jetzt, wo ich so darüber nachdenke – eine Hochzeit ist genau das Richtige. Diese Situation schreit geradezu danach. Du möchtest so furchtbar gerne sterben? Na prima. Und vorher kannst du mich heiraten.«
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
Mit einem säuerlichen Lächeln stieß sie sich von der Balkonbrüstung ab und steuerte die mit Rautenscheiben verglaste Tür zum Promeniersaal an. »Hab noch ein schönes Leben, Cayal«, rief sie und winkte ihm schelmisch zu. »Ich bin sicher, es wird ein sehr langes werden.«
»Elyssa, warte doch.«
Eine Hand auf der Klinke, drehte sie sich um. »Ja, Cayal?«
»Gibt es denn sonst keinen Weg, wie wir …?«
»Nein. Also wenn wir hier fertig sind, kehre ich jetzt zu meiner Familie zurück. Zu denen, die immer zu mir halten. Es sei denn, du möchtest mich noch um etwas bitten?«
Gezeiten, sie will, dass ich um ihre Hand anhalte! Cayal betrachtete sie im Sternenlicht und fragte sich, ob er sie jemals mehr gehasst hatte als in diesem Augenblick. »Willst du mich heiraten, Elyssa?«
Sie lächelte triumphierend. Und Cayal stellte fest, dass er sie tatsächlich noch mehr hassen
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