Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
heißt ja, dass wir auf herkömmliche Art reisen müssen«, sagte Cayal alles andere als begeistert. »Das wird Wochen dauern. Vielleicht sogar Monate.«
»Wir haben noch Zeit, bis die Gezeiten auf dem Höchststand sind«, beruhigte Kentravyon die anderen. »Solange wir hier nicht noch länger rumtrödeln als nötig.«
»Ich sollte Mutter Bescheid sagen, wo ich bin«, sagte Elyssa.
»Warum? Hattest du etwa vor, Syrolee zu uns nach Jelidien einzuladen?«
»Natürlich nicht.«
»Dann lasst uns aufbrechen. Nichts wie weg aus Caelum«, sagte Cayal. »Jetzt haben wir ja, was wir wollten.«
Einen Augenblick lang dachte Elyssa über den Vorschlag nach, dann zuckte sie die Achseln und zeigte auf Arkady. »Und wenn sie versucht zu fliehen?«
»Dann bringen wir sie um und suchen dir ein anderes hübsches Mädel«, sagte Kentravyon. »Nicht, Cayal?«
Cayal nickte. »Na klar.«
Elyssa schien zufriedengestellt. Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging die Treppe hinauf. Kentravyon folgte ihr, und so blieben Cayal und Arkady allein zurück. Sie ließ den Schädel sinken und in ihre geräumige Manteltasche gleiten. Sein Lichtschein verblasste, sobald die Gezeitenfürsten sich entfernten.
»Cayal, was ist hier los?«
»Ich erklär’s dir später.« Er streckte die Arme nach ihr aus, als wollte er sie an sich ziehen.
Arkady wich einen Schritt zurück. »Ich will es aber jetzt wissen.«
»Und wenn ich mir jetzt die Zeit nehme, dir alles zu erklären, bringt sie dich um«, sagte er schlicht, und Arkady wusste, dass er recht hatte. »Vertrau mir, Arkady. Ich sorge schon dafür, dass dir nichts passiert.«
Nach allem, was soeben geschehen war, war das schon ein starkes Stück, doch bevor Arkady antworten konnte, erschien Elyssa wieder auf dem obersten Treppenabsatz. »Cayal? Kommst du?«
Er seufzte und winkte Arkady, vor ihm die Treppe hochzugehen. Mit dem schweren Kristallschädel in der Tasche trat sie aus der Tempelruine und blinzelte im hellen Tageslicht, das vom Schnee reflektiert wurde. Dann folgte sie ohne ein weiteres Wort Elyssa und Kentravyon zum See hinunter. Cayal bildete die Nachhut, wohl um sicherzugehen, dass sie keinen Fluchtversuch machte.
Wenig später blieben sie am Seeufer stehen, wo Klyssa stand und fluchte wie ein Fuhrkutscher.
»Was ist denn los?«, fragte Cayal.
Elyssa stand neben einem angeschlagenen, kaum seetüchtigen Ruderboot, das schon für eine Person gefährlich schien, geschweige denn für drei oder vier. Das konnte nicht das Boot sein, in dem die Gezeitenfürsten hergekommen waren.
Grollend starrte Elyssa auf die ramponierte Jolle hinunter. »Diese verdammten Gemang haben unser Boot geklaut.«
TEIL III
Die Grenzen, die Leben und Tod voneinander scheiden, sind so unbestimmt und dunkel.
Wer kann sagen, wo das eine endet und das andere beginnt?
»Lebendig begraben « Edgar Allen Poe (1809-1849)
41
Wenn Tiji in ihrer Zeit beim Ersten Spion des Königs von Glaeba etwas gelernt hatte, dann das: zu riechen, wenn etwas faul war. Sie hatte ein Gespür für Probleme entwickelt, die Fähigkeit, Lügengewebe zu entdecken, die sonst niemand bemerkte. Und jetzt hatte sie genau dieses Gefühl, hier im Palast der Unmöglichen Träume, und doch konnte sie beim besten Willen nicht beziffern, warum sie so beunruhigt war.
Tijis Patentlösung war, so lange herumzuschnüffeln, bis sie die Quelle ihres Argwohns ausmachen konnte, und so war sie an diesem Morgen tief in den labyrinthartigen Eistunneln unter dem Palast gelandet. Irgendwo hier unten konnte sie die Suzerain spüren; sie roch ihr fauliges Aroma irgendwo vor sich. Noch nie zuvor hatte sie sich so weit vorgewagt. Von den Lagerkellern unter dem Palast, die sie immerhin kannte, war sie längst weit entfernt. Azquil würde toben, wenn er wüsste, dass sie jetzt hier unten war.
Tiji erschrak, als sie eine seltsame, aus dem Eis gehauene Wendeltreppe erblickte, von deren Wänden ein geisterhafter grünlicher Lichtschein ausging. Sie schluckte schwer vor Angst, doch dann schlich sie weiter, die glimmenden Stufen hinab.
Es ging endlos in die Tiefe. Vor sich konnte sie Stimmen hören, aber es gelang ihr nicht herauszuhören, wer dort mit wem sprach. Sie vermutete, dass Maralyce und Lukys da unten waren, vielleicht sogar Pellys. Und auch Lukys' sterbliche Gemahlin Oritha musste hier irgendwo sein, denn sie war es, der Tiji nachschlich.
Sie hielt den Atem an und gab sich Mühe, lautlos zu gehen und dabei das komische Moos nicht zu
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