Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
zumindest so lang fortzustoßen, dass sie ihre Unschuld beteuern konnte.
»Ich wollte ihr doch nichts tun! Ich wollte doch nur helfen!«, rief sie auf Glaebisch, ohne an mögliche Folgen zu denken. In Panik und Lebensgefahr kam es Arkady gar nicht in den Sinn, etwas anderes als ihre Muttersprache zu sprechen.
Bei ihrem Ausruf schien die Canidenmutter zu stutzen. Unvermittelt ließ die Crasii von ihrem Angriff ab und richtete sich halb auf. Immer noch rittlings auf Arkady sitzend, starrte sie ihr einen Augenblick ins Gesicht.
»Euer Gnaden?«
Diese Anrede war fast noch überraschender, als aus dem Nichts von einer wilden Crasii angegriffen zu werden, die ihren Welpen verteidigte. Arkady musterte die Canide im schwindenden Abendlicht. »Kenne ich dich?«
»Ich bins doch, Euer Gnaden. Boots.«
Arkady starrte die Fremde verwirrt an und versuchte sich zu erinnernder Boots sein sollte. Dann fiel es ihr wieder ein. Das war doch die junge Canide, die damals in Lebec geflohen ist – an dem Abend, als Declan zum Palast kam und mich bat, Cayal auszuhorchen!
»Boots? Was machst du denn hier? Und mit einem Welpen?«
»Ich sollte Euch fragen, was Ihr hier macht, Euer Gnaden«, versetzte Boots und stieg von ihr herunter. Dann streckte sie Arkady die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen.
Taumelnd kam Arkady auf die Füße und sah auf die Kleine hinunter, die prompt aufgehört hatte zu weinen, als ihre Mutter diesen seltsamen Eindringling überfiel. Sie lächelte jetzt sogar. Anscheinend fand die kleine Canide die Aussicht höchst unterhaltsam, dass ihre Mutter einen Menschen in Fetzen riss.
»Lange Geschichte, Boots, und wahrscheinlich würdest du sie mir sowieso nicht glauben.«
Boots bückte sich und hob ihre Tochter hoch. »Ihr mir meine auch nicht, Euer Gnaden. Seid Ihr allein hier draußen?«
Arkady zögerte und fragte sich, ob sie der Crasii trauen konnte. Womöglich gehörte Boots zum Gefolge irgendeines Unsterblichen, der hinter der nächsten Anhöhe auf sie wartete. Und dann fiel ihr ein, warum Boots damals aus ihrem Zuhause in Lebec geflohen war. Sie hatte Jaxyn getrotzt.
Dazu war nur ein Ark in der Lage.
»Allein und auf der Flucht«, gab sie zu. In ihrer Lage konnte sie genauso gut die Wahrheit sagen, es machte ohnehin keinen Unterschied mehr. Denn sie würde heute Nacht hier draußen sterben, wenn sie keine Hilfe bekam. »Und du?«
»Nun, ich bin nicht allein«, sagte Boots und setzte sich ihren Welpen auf die Hüfte. »Das hier ist übrigens Missy. Sobald ich ihr den Rücken zudrehe, krabbelt sie davon und bringt sich in Schwierigkeiten. Und auf der Flucht bin ich eigentlich noch nicht. Bevor ich fliehen kann, muss ich erst den Winter abwarten. Schließlich habe ich drei Kinder durchzubringen.«
Arkady machte große Augen vor Überraschung. »Du hast drei Welpen?«
Boots nickte. »Und jetzt gehen wir wohl besser zu den beiden anderen rein, bevor es ihnen auch noch einfällt, sich davonzumachen.« Sie seufzte entnervt. »Gezeiten, es war so viel einfacher, als sie noch nicht krabbeln konnten.«
»Du hast hier ein Lager?«
»In den Ruinen da hinten«, sagte Boots, dann drehte sie sich um und ging den Weg zurück, den sie gekommen war. Sie schien davon auszugehen, dass Arkady ihr folgen würde, denn sie sprach im Gehen weiter. »Die müsstet Ihr doch eigentlich kennen. Lord Stellan hat gesagt, dass er schon einmal mit Euch dort war.«
»Stellan?« Arkady eilte der Canide nach. »Du hast mit Stellan gesprochen?«
»Er hat mir geholfen, den Suzerain zu entkommen«, sagte Boots über die Schulter. »Er hat gesagt, er würde mit Vorräten wiederkommen, sobald er kann, aber ich glaube nicht, dass es klappt. Nicht nach allem, was heute auf dem See los war.«
»Du hast die Schlacht gesehen?«
»Hauptsächlich gehört«, sagte Boots und schob sich weiter durchs Gestrüpp. Kurz darauf kamen sie auf einer Lichtung heraus, die Arkady entfernt bekannt vorkam. Nicht dass sie in diesem Licht noch viel sehen konnte. »Jedenfalls hab ich die Schreie gehört. Viel sehen kann man von hier aus nicht. Wir sind hier zu weit nördlich.« Sie sah wieder über die Schulter und lächelte schwach. »Was mir auch ganz recht ist.«
Die Arme gegen die Kälte fest um den Oberkörper geschlungen, folgte Arkady Boots noch eine kurze Strecke durch weitere Büsche am anderen Ende der Lichtung, bis sie aus dem Unterholz hervortraten und vor den Ruinen standen, an die Arkady sich von ihrer Hochzeitsreise erinnerte. Sie sah sich
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