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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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bleiben!«, ertönte die Stimme hinter ihm zum wiederholten Mal, und er musste sich eingestehen, dass die Verlockung, dem Befehl nachzukommen und einfach aufzugeben, wuchs. Alphonse Derray war am Ende seiner Kräfte. Alles war schiefgegangen. Jetzt war es nur noch eine Frage von Minuten, bis die Jagd zu Ende wäre. Der schwarze Wagen auf der staubigen Landstraße weiter oben am Berg war so gut wie unerreichbar. Er hatte den Hang unterschätzt. Seine Ausdauer reichte nicht.
    Aber noch hastete er verzweifelt weiter bergauf, stets die schmale Straße vor Augen, die den Hang in zwei ungleiche Teile zerschnitt, bevor sie nach einer Kehre für einige hundert Meter den Wald entlanglief, um schließlich zwischen den Tannen in der sicheren Dunkelheit zu verschwinden. Dort würde der Wagen warten.
    Hoffentlich.
    Die Zweige der Apfelbäume klatschten in sein Gesicht, zerfetzten das Sakko. Brombeersträucher zwischen den Baumgruppen rissen Löcher in seine Hose. Sein eleganter Anzug war reif für die Vogelscheuche. Aber es war ja auch egal, was man zu seiner eigenen Beerdigung trug, wenn man die Leiche war, dachte er und verzog schmerzhaft das Gesicht. Nach zahlreichen Stürzen sickerte aus seinen aufgeschlagenen Beinen das Blut. Er spürte es an seinen Waden herunterrinnen und verfluchte die rabenschwarze, mondlose Nacht.
    Hakenschlagend, stolpernd, oft auf allen vieren durch das Unterholz kriechend, erblickte er endlich das Ende des riesigen Obstgartens vor sich, den Anstieg auf die letzte Terrasse vor der Straße. Gut acht Meter hoch, mit Gras bewachsen, fast senkrecht, ahnte er ihn mehr, als er ihn sah. Die Dunkelheit täuschte, ließ den Abhang niedriger aussehen, als er in Wirklichkeit war.
    Er hörte seine Verfolger nicht weit hinter ihm fluchend durch das Spalier der Apfelbäume brechen. Der Schmerz in seiner Schulter vom Gewicht des Rucksacks nahm zu.
    Keine Zeit zu überlegen.
    Also begann er zu klettern.
    Die Frau, die in diesem Moment über ihm an den Rand der schmalen Straße trat, war groß, blond und sah aus wie das Urbild der deutschen Frau und Mutter in Goebbels Propaganda. Das dunkelblaue Abendkleid, das sie so anmutig und glamourös wie eine Filmdiva trug, schmiegte sich an ihre Hüften wie eine zweite Haut. Die Maschinenpistole MP 42 in ihren Händen wollte allerdings nicht zu der eleganten Garderobe passen und wirkte wie eine falsche Requisite in einem der glanzvollen Kostümfilme der Ufa. Der Lauf bewegte sich einige Zentimeter nach unten, als der Flüchtende das letzte Drittel des Abhangs in Angriff nahm, sich immer wieder nach seinen Verfolgern umblickend.
    Die Garbe zerriss die Stille über dem Tal und schleuderte Alphonse Darrey wie eine Marionette mit durchtrennten Fäden den Abhang hinunter. Der dunkelgrüne Rucksack flog in weitem Bogen durch die Nacht, landete einige Meter weiter entfernt neben seinem Körper, der noch einmal zuckte und dann still lag.
    Als die beiden Soldaten in den deutschen Gebirgsjägeruniformen schwer atmend zwischen den Apfelbäumen hervorstolperten, winkten sie der jungen Frau überrascht kurz zu, steckten ihre Pistolen ein und gingen neben dem Toten in die Knie. Sie begannen die Taschen des Anzugs zu durchsuchen und zogen ein dickes Bündel Banknoten heraus, dann ein weiteres und noch eines. Die Männer sahen sich grinsend an und stopften die Geldscheine in ihre Uniformtaschen.
    Die blonde Frau hatte sich wieder von der Kante des Abhangs zurückgezogen, ließ jedoch die beiden Soldaten nicht aus den Augen. In diesem Moment bemerkte einer der Gebirgsjäger den Rucksack und stieß seinen Kameraden an. Beide eilten zu dem im Gras liegenden Ranzen. Sie hoben ihn an, doch wegen seines überraschenden Gewichts setzten sie ihn gleich wieder ab und blickten sich vorsichtig um. Niemand war zu sehen. Die junge Frau war wohl wieder zur Feier ins Schloss zurückgekehrt, und die Nacht war dunkel …
    »Los, schau nach, was drin ist!«, flüsterte einer der beiden. »Wenn das jetzt noch Gold ist, dann verschwinden wir auf der Stelle und gehen über die Berge.«
    Neugierig öffneten sie den Rucksack und warfen einen Blick hinein. Unter einer Lage Stoff waren offenbar flache Steine oder Barren in Wachspapier eingewickelt und verschnürt worden. Unsicher sahen sie sich an. Dann zogen sie eines der Pakete heraus und entfernten die Schnur, schlugen das Papier zurück …
    In diesem Augenblick hörten sie, wie eine Waffe entsichert wurde.
    »Ich dachte, die Befehle waren klar …«, sagte

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