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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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LKW rollte durch die Bahnhofsstraße, wo lange Menschenschlangen mit großen Koffern in der Hand auf den Weitertransport warteten. »Heimatvertriebene«, stellte Franz fest, »sie verlegen sie in den sicheren Teil der Ostmark.«
    »Österreichs«, verbesserte ihn Willi.
    »Egal«, meinte Franz, »auf jeden Fall in Sicherheit. Sieht so aus, als gibt es noch keine Zerstörungen hier, keine Bomben und keine Gefechte.«
    Die Häuser wurden wieder spärlicher, die Zahl der Vorgärten nahm zu. Als auf der rechten Straßenseite ein mächtiges, zweistöckiges Fachwerkhaus mit Walmdach auftauchte, klopfte Paul Franz auf die Schulter.
    »Halt mal hier an«, sagte er, »ich habe eine Idee.«
    In dem gepflegten Garten, mit seinen schnurgerade angelegten Gemüsebeeten hinter einem etwas schiefen Lattenzaun, wuchsen Narzissen und Tulpen. Mit einer kleinen Schaufel grub eine ältere, untersetzte Frau in den Beeten und versuchte, der ersten Löwenzahnpflanzen Herr zu werden.
    Paul drückte die schmale Tür auf, die protestierend quietschte, und ging der Frau entgegen, die sich aufgerichtet hatte und ihn misstrauisch beobachtete.
    »Es tut mir leid, Sie bei der Gartenarbeit zu stören«, begann er und lächelte etwas schüchtern. »Meine Kameraden und ich sind auf der Durchreise, und wir …« Er schaute sich verschwörerisch um. »… wir brauchen Zivilkleidung …« Paul senkte den Blick. »Vielleicht können wir so der Gefangenschaft entgehen und kommen früher heim zu unseren Familien.«
    Der Gesichtsausdruck der Frau wurde weich. Sie sah den jungen Soldaten vor sich, mit den dunklen Rändern um die Augen, der sich wie ein Schulbub die widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn strich, und musste an ihren Sohn denken, der seit drei Jahren vermisst war.
    »Kommen Sie herein«, lud sie ihn ein, dann warf sie einen Blick auf die Straße. »Oder warten Sie … sind das Ihre Kameraden in dem Lastwagen? Sagen Sie ihnen, sie sollen die nächste Einfahrt rechts nehmen, so kommen sie auf den Hof. Ich mache Ihnen die Türe auf.« Damit drehte sie sich um und ging leicht humpelnd zurück ins Haus.
    Der Hof war eher ein weiterer Garten, mit einer kleinen Stellfläche vor der angeschlossenen Scheune.
    Franz stellte den Motor ab, sah sich um und blickte Paul verwundert an. »Ich habe keine Ahnung, was du erzählt hast, aber was immer es war, es war gut.«
    Die Frau stand bereits in der Tür und wartete auf sie. Als alle vier im Haus waren, versperrte sie sorgfältig den Hauseingang und deutete dann nach links. »Gehen Sie erst einmal in die Küche, ich mache uns einen Kaffee und etwas zu essen. Sie sehen so aus, als könnten Sie es brauchen.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, lächelte Willi, »und wir wollen nicht unhöflich erscheinen, aber wir sind sehr in Eile.«
    »Ach was«, wehrte die Hausfrau energisch ab, »für ein paar Brote werden Sie schon Zeit haben. Ich habe auch noch ein wenig Speck …«
    »Überredet!«, verkündete Ernst und rückte auf die Ofenbank. »Und danke für Ihre Hilfe.«
    Die Frau wandte sich ab und begann in Schränken und Laden zu kramen. »Mein Sohn ist … war Soldat wie Sie. Er wird nicht mehr heimkommen, das spüre ich, auch wenn er als vermisst gemeldet wurde … eine Mutter weiß es, wenn ihr Kind tot ist.« Sie stützte sich mit beiden Händen auf die Platte der Kredenz und ließ den Kopf hängen.
    Im Raum war es ganz still, und nur mehr die verblasste cremefarbene Junghans-Uhr an der Wand tickte.
    »Mein Mann ist schon bei der ersten Offensive im Osten gefallen, an einem Ort, wo er nie hin wollte, in einem fremden Land, das ihm nichts bedeutete. Sie haben mir nicht einmal den Ehering zurückgeschickt. Außer ein paar Fotos und den wenigen Erinnerungen ist mir nichts mehr geblieben. Gar nichts. Dann rückte mein Sohn ein, er war achtzehn und voller Ideale …« Sie verstummte und räusperte sich. »Das war vor drei Jahren. Jetzt ist das Haus leer, und ich bin eigentlich schon lange gestorben.« Sie seufzte und holte eine Kaffeekanne aus dem Schrank. »Nur weil es hier keine Zerstörungen gibt, heißt es nicht, dass uns der Krieg nicht alle heimgesucht hat, jede einzelne Familie. Jetzt kommen die Flüchtlinge, morgen ziehen sie auch bei mir ein. Aber es ist sowieso schon egal …«
    Keiner der vier Freunde wusste, was er sagen sollte. Das Schweigen legte sich wie ein schweres Tuch über den Raum.
    Als sie das kochende Wasser in den Filter leerte, zuckten ihre Schultern. »Sie sind noch so

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